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Prolog | (23 KB) |
Wie ein verlorener Prinz gefunden wird | (145 KB) |
Wie der Goldene Thron gewonnen wurde | (31 KB) |
Epilog | (26 KB) |
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Im Inneren Bezirk des Palastgartens war von der Hitze des Tages nur wenig zu spüren. Der glühende Wind aus der Wüste wurde durch den großen See des Gartens, über den er strich, auf erträglichere Temperatur abgekühlt, die Springbrunnen bewirkten ein Übriges. Der Innere Bezirk, eine verwinkelte Anlage aus Terrassen und säulengetragenen Dächern in einem der großen Innenhöfe des Palastes, beherbergte die Ruheräume des Königs von Hannai, Nisan von Berresh, der sich der Prächtige nennen ließ, sowie die seiner Frauen und Kinder. Eine Anlage, die streng bewacht wurde und allein für ihre Bewohner und einige wenige, sorgfältig ausgewählte Diener zugänglich war.
In einem der Gemächer des Harems, durch einen dünnen seidenen Vorhang vor dem Holzgitter, das Ausblick in den Garten gestattete, in orangenes Halbdunkel getaucht, saß in perlenbestickten Gewändern eine junge Frau von erlesener Schönheit, die den goldgewirkten Schleier nach hinten über ihr Haar gelegt hatte. Neben ihr saß ein ebenso junger Mann in einfachen, fast ein wenig schäbig wirkenden dunklen Gewändern, deren Schnitt ihn als einen Angehörigen der nomadischen Oshey auswiesen, die in der Wüste lebten, die sich südlich von Hannai bis zu den fernen Gebirgszügen erstreckte. Seine Füße steckten in abgetragenen Reiterstiefeln, die mit den Mustern verziert waren, mit denen Oshey-Gerber ihre Werkstücke zu versehen pflegten, und auch sein lockiges schwarzes, blauglänzendes Haar war das eines Oshey. Seine Augen jedoch waren ungewöhnlich für einen Oshey: in seinem dunkelhäutigen Gesicht brannten sie golden wie zwei Topase.
Der Jüngling flüsterte dem Mädchen etwas zu, das sie, leicht errötend, lächeln ließ, dann umarmte er sie und sie kuschelte sich an seine Brust. An einem Finger der Hand, mit der er ihren Kopf streichelte, blitzte ein goldener Ring auf, die Fassung enthielt jedoch nur das Bruchstück eines Saphirs.
Er küßte das Mädchen zart auf ihre geschlossenen Augenlider, während sie ihm Liebesworte zuflüsterte, doch plötzlich hielt er in seinen Liebkosungen inne und hob lauschend den Kopf. "Sei still, Sira. Ich höre jemanden", raunte der junge Mann seiner Geliebten ins Ohr und löste behutsam seine Umarmung.
Auch Sira spitzte jetzt die Ohren und auch sie hörte die sich nähernden Schritte nun deutlich. Sie kamen vom Garten her und ihr vertrauter Rhythmus ließ Sira erschreckt aufstöhnen. "Du mußt hier weg", flüsterte sie aufgeregt ihrem Liebsten zu und zog geschwind den goldverzierten Schleier wieder vor ihr liebliches Gesicht. Sie sprang auf und sah sich nach einem Fluchtweg für den Jüngling um, doch der einzige war die Tür, die zur Terrasse führte und von wo sich unaufhaltsam die Gefahr näherte. Einen Moment stand sie ruhig, die Hände krampfhaft ineinander verschlungen, dann packte sie den Arm ihres Geliebten, der inzwischen ebenfalls aufgestanden war und zog ihn zu einer Tür aus hölzernem Gitterwerk, die hinter einem dichten Vorhang fast völlig verborgen gewesen war. "Dort hinein", zischte sie und schob ihn in das dahinterliegende Gemach, kaum daß sie die Tür einen Spalt weit geöffnet hatte.
Der junge Mann sah sich flüchtig in dem lichtdurchfluteten Raum um. "Wer wohnt hier?" fragte er flüsternd, als Sira die Tür schon wieder hinter ihm schließen wollte.
"Eine Frau meines Vaters", erwiderte sie geringschätzig. "Sie wird nicht vor dem Abend hierher kommen. Ich werde so bald wie möglich jemanden schicken, der dich hinausführt." Mit diesen Worten wurde die Tür geschlossen und der Jüngling hörte, wie sie ihren Vater, Nisan den Prächtigen, begrüßte. Dann schienen beide den Ruheraum der Prinzessin zu verlassen.
Der junge Mann sah sich in seinem vornehmen Versteck um. Die Tür in den Garten war mit ähnlichen Schnitzereien verziert wie in dem angrenzenden Zimmer: Szenen aus den Gärten der Freude. Gegenüber der Tür, durch die er den Raum betreten hatte, war eine weitere Tür, verhängt mit einem durchscheinenden Vorhang, dessen goldene Stickereien im Sonnenlicht glänzten. Der blauseidene Vorhang des holzvergitterten Fensters zum Garten war beiseite gezogen und vor dem Fenster stand ein niedriger Tisch, auf dem Schreibutensilien und einige Bücher lagen. Wie auch in Siras Räumen lagen überall auf den dicken Seidenteppichen runde Lederpolster und seidene Kissen, wie es in den Zelten der Oshey üblich und in Hannai zur Zeit Mode war. Der Jüngling zog sich eines der dicken Lederpolster ans Fenster, setzte sich und sah in den Hof hinaus. Auf dem Rasen, rund um den Springbrunnen, stolzierten einige der prächtigen weißen Pfauen, von denen man sich erzählte, es handele sich bei ihnen um die Nachkommen des ersten Königs und der ersten Königin von Hannai, die diese in ihrer Vogelgestalt zeugten, die ihnen vom Ungenannten als Belohnung ihrer Frömmigkeit verliehen worden war, bevor Er sie in die Gärten der Freude führte. Einer der Hähne raschelte mit seinen langen Schwanzfedern und spreizte sie dann zu einem in der Sonne perlmuttern schimmernden Rad, das er mit stolz geschwellter Brust und zitternden Federn vier Weibchen in seiner Nähe präsentierte.
"Ein prachtvoller Anblick, nicht wahr?" fragte plötzlich eine leise Frauenstimme und der Jüngling erstarrte vor Schreck. "Nur keine Angst", sagte die Frau sanft. "Ich werde euch nicht verraten, wenn ihr mir erzählt, was ihr im verbotenen Teil des Palastes sucht... ich bin Patrais von Letran, die siebte Frau des Königs. Wer seid ihr?"
Der junge Mann schluckte schwer und drehte sich zu der Frau um. Ein dichter granatapfelfarbener Seidenschleier, mit Silberfäden durchwoben und mit silbernen Blüten bestickt, reichte der zierlichen Frau bis zu den Knien, ihr bodenlanges Seidengewand hatte die Farbe von poliertem Gold. Der Jüngling sprang auf und verbeugte sich tief. "Ich heiße Hermil Tashrany... ich bin nur ein Sohn der Wüste, doch in meinem Herzen brennt ein Feuer, das sich mit der Sonne messen könnte. Es zieht mich hin zu einer, die hier in diesem Palast, hinter diesen Mauern lebt."
Die siebte Frau des Königs neigte leicht ihren Kopf. "Ich bin geehrt, einen Oshey willkommen heißen zu dürfen, der ein Namensvetter eines so großen Mannes der Geschichte ist. Darf ich fragen, wer eure Angebetete ist?"
Hermil Tashrany errötete tief. "Es ist... es ist die Prinzessin Sira, die dritte Tochter des Königs, hohe Dame." Hermils schweißnasse Finger verkrallten sich im festen Stoff seiner einfachen Beinkleider.
Mit leichter Hand berührte Patrais von Letran den jungen Mann am Oberarm. "Bewahrt eure Ruhe, denn noch ist meine Neugierde nicht gestillt... wie habt ihr die Prinzessin kennengelernt. Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß sie zu euch in die Wüste kam und sagte: Besucht mich im Palast meines Vaters."
Hermil Tashrany trat der Schweiß auf die Stirn. "Nein, hohe Dame, so war es natürlich nicht. Aber wenn ihr erlaubt, werde ich euch die Geschichte unserer Begegnung erzählen, die eine wundersame Fügung der Götter war, wie ihr sicher bestätigen werdet, habt ihr sie erst gehört."
Patrais von Letran sank in einer Wolke aus golden schimmernder Seide auf eines der Sitzpolster und gebot Hermil mit einer Handbewegung, mit seiner Erzählung zu beginnen.
Aufatmend nahm auch Hermil Tashrany wieder Platz und erzählte:
*
"DIE GESCHICHTE VON HERMIL TASHRANY UND SIRA VON BERRESH.
Obwohl ich meine leibhaftigen Eltern nicht kenne, gibt es doch einen Mann, den ich meinen Vater nenne und dieser Mann, der mich zusammen mit seinem leibhaftigen Sohn aufzog als wäre ich von seinem Blut - und tatsächlich stamme ich sogar vom gleichen Stamm - ist der Fürst der Tashrany. Mein Vater, der Fürst, lehrte mich zu reiten und zu jagen und unterwies mich in den Kampfspielen der Oshey aber auch in den Schriften der Weisen und Heiligen, so daß ich schließlich zum Manne wurde und, wie es heißt, einer Zierde meines Stammes.
Als ich vor einigen Wochen zur Jagd ritt, sah ich am Himmel einen weißen Falken, der auf mich herniederstieß, als sehe er in mir das Objekt seiner Jagd. Ich griff nach dem Bogen, um mich seiner zu erwehren, doch da fing der Vogel sich mit seinen Flügeln plötzlich ab, als hätte er meine Absicht geahnt und kreiste wenige Handspannen über meinem Kopf. Vorsichtig legte ich den Bogen quer vor mich, behielt ihn jedoch in der Hand, bereit, jederzeit einen Pfeil von der Sehne schnellen zu lassen, noch bevor der Vogel mich erreichen könnte.
Dreimal kreiste der Vogel über mir, dann tat er plötzlich den Schnabel auf und sprach zu mir in der Sprache der Menschen: "Höre meine Worte, Sterblicher", und seine mächtige Stimme ließ mir das Blut in den Adern stocken. "Nicht weit von hier ist eine Oase, an der die Karawanenstraße nach Norden entlangführt. Banditen lauern dort und wenn du nicht eingreifst, werden sie dein Schicksal töten und du wirst dein Leben lang nur ein einfacher Sohn der Wüste bleiben, obwohl du zu Größerem geboren bist."
"Wie kann ein Schicksal getötet werden?" fragte ich, aber der Vogel hatte seine Botschaft gesprochen, schrie nach Falkenart auf und schwang sich hoch in die Lüfte, so daß meine Augen ihn bald verloren hatten. Doch da dieser Vogel sicherlich ein Bote der Götter gewesen war, hatte ich ihm zu gehorchen, und so rief ich nach meinen Jagdgefährten, erzählte ihnen von dem Vogel und seiner Rede und beriet mich mit ihnen.
"Laß einen von uns als Boten zu den Zelten eilen", riet mir einer meiner fünf Gefährten. "Die anderen werden dir folgen und mit dir gegen die Banditen kämpfen."
Dieser Rat war gut und so rief ich: "Dann laßt uns eilen", und wie der Wind ritten wir fünf zu der Oase an der Karawanenstraße und hinter uns erhob sich der Sand wie eine riesige Säule, während der sechste zu den Zelten eilte und bald mit weiteren Kämpfern folgen würde.
Endlich erreichten wir die Oase, die scheinbar friedlich dalag. Doch als wir näherkamen, sahen wir da im Sand Fetzen von Stoff liegen, an einigen Stellen war der Sand von Blut gerötet und ein Mann lag auf der Erde mit durchschnittener Kehle und dem Wappen des hannaischen Königs an seinem Umhang, dem galoppierenden Rappen.
Von der Wasserstelle her kam Kampfeslärm und so preschten wir los, die blanken Klingen in der Hand. Die Banditen schwangen sich auf ihre Pferde und eilten davon, denn nur wenige wagen es, sich im Schwertkampf mit einem Oshey zu messen. Einer von ihnen jedoch riß ein pfirsichfarbenes Stoffbündel vom Boden hoch, bevor er sich davon machte. Wir wollten sie ziehen lassen, denn außer dem Toten am Rande der Oase waren die Männer der Karawane nur verwundet, da rief einer, statt uns für die Hilfe zu danken: "Sie haben die Prinzessin!"
Dieser Ruf durchfuhr mich wie ein Speer und ich wußte, daß diese Prinzessin mein Schicksal war, und ich trieb mein Pferd an, die Banditen einzuholen, denn das vermeindliche Stoffbündel mußte die Prinzessin gewesen sein. Drei meiner Begleiter folgten mir, der andere kümmerte sich um die Verletzten. Es war eine lange Jagd über die Wellen jenes Meeres, das die Heimat der Oshey ist, und endlich hatten wir sie erreicht, denn ihre Pferde waren schwach und in keiner Weise zu messen mit dem Maß, das ein Züchter der Oshey anzulegen gewohnt ist. Schließlich erreichte ich jenes Pferd, das statt eines Reiters derer zwei trug, denn es war hinter den anderen zurückgefallen.
"Entwindet euch ihm, Prinzessin!" rief ich und ich sah, wie aus dem formlosen Bündel pfirsichfarbener Seide plötzlich ein Wirbelwird wurde, doch der Griff des Banditen war eisern und so mußte ich ihn weiter verfolgen, bis mein Pferd Seit' an Seite mit dem seinen lief. Ich zog mein Schwert und stach nach dem Banditen, so sah er sich gezwungen, sich zur Wehr zu setzen, und der zarte Arm der Prinzessin entglitt seinem Griff. Mit wirrem Haar fiel sie zu Boden, doch da war schon einer meiner Begleiter herangekommen, zog sie zu sich hoch in den Sattel und eilte mit ihr zurück zur Oase. Der Kampf mit dem Banditen war nicht schwer, denn die Männer des Königs hatten ihm einen harten Kampf geliefert und so konnte auch ich bald zur Oase zurückkehren.
Als ich mich wieder der Wasserstelle näherte und vom Pferd sprang, kam die Prinzessin auf mich zu. Inzwischen hatte sie ihre Kleidung wieder geordnet und ihr blütengleiches Antlitz mit den obsidianschwarzen Augen, das ich nur für einen kurzen Augenblick gesehen hatte, war wieder verschleiert. Sie verbeugte sich vor mir und sagte: "Ich danke euch für meine Rettung, Hermil Tashrany. Gebt mir die Ehre, zusammen mit euren Begleitern mit mir zu speisen", und ich dankte und folgte ihr in ein inzwischen errichtetes Zelt, in dem mit duftendem Öl gefüllte Lampen brannten und auf den Tischen Köstlichkeiten aus aller Welt warteten.
Als meine Begleiter und ich uns gesetzt und die Hände in einer dargebotenen Silberschale gewaschen hatten, tranken wir zusammen Tee und schließlich erhob die Prinzessin wieder ihre Stimme und sagte zu mir: "Von dem Mann, der mich zur Oase zurückbrachte, erfuhr ich bereits euren Namen Hermil Tashrany, und ich hörte, welche wunderbare Fügung euch zur rechten Zeit die Oase erreichen ließ. Ich bin Sira von Berresh, die dritte Tochter des Königs von Hannai, Nishan des Prächtigen. Höret nun, wieso ich fern von Hannai über die Karawanenstraße ziehe und mich Gefahren wie diesem Überfall aussetze, hört:
*
VOM TRAUM DER SIRA VON BERRESH.
Vor einigen Wochen träumte mir drei Nächte hintereinander folgendes: ein schwarzer Hengst auf einer vertrockneten Weide sah in geringer Ferne eine Weide von sattem Grün. Er besann sich nicht lange und machte sich auf den Weg dorthin. Alle, die er auf seinem Weg traf und die ihn nach seinem Vorhaben befragten, warnten ihn vor der fetten Weide, doch der stolze Hengst achtete nicht auf die Warnungen und erreichte die fruchtbare Weide schließlich. Dort war niemand, der ihm das Grasen verbot und so begann er, das saftige Gras zu rupfen und zu kauen, bis er satt war und seine anfängliche Wachsamkeit zu satter Schläfrigkeit geworden war. Da stürzte sich plötzlich ein weißer Falke auf den Rappen hinab und hackte ihm beide Augen aus, bevor er ihn von der Weide vertrieb.
Drei Nächte hintereinander wachte ich voller Angst und Schrecken auf und endlich, nachdem ich meinen Vater lange gebeten hatte, erlaubte er mir, zum Orakel Orems zu reisen, damit die Priester des Herrn der Nacht mir diesen Traum deuteten. Zwei Wochen dauerte unser Weg durch die Wüste, bis wir den Tempel endlich erreichten und als ich den Priestern meinen Traum erzählt hatte, da berieten sie sich eine Woche lang, bis sie ihn deuten konnten und sie sagten mir: "Deinem Vater droht Unheil und Tod, denn die Götter selbst zürnen ihm. Nur einer vermag diesen Zorn abzuwenden und dessen Zeichen ist: zwei Sonnen unter dem nachtschwarzen Himmel."
Ich fragte die Priester, ob sie mir nicht mehr sagen könnten, denn wo sollte je eine Sonne unter einem nachtschwarzen Himmel scheinen, geschweige denn zwei, doch die Priester schickten mich zurück und so machte ich mich schweren Herzens wieder auf den Weg. Endlich näherten wir uns dieser Oase und als wir sie erreichten, da stürmten auf einmal die Banditen hervor. Doch ihr kamt zur rechten Zeit, gesandt vom Boten des Ungenannten und als ihr den verfolgtet, der mich rauben wollte, da glühten eure Bernsteinaugen wie zwei Sonnen und das Haar, das euch in die Stirn wehte, war so schwarz wie die dunkelste Nacht unter dem Mantel Orems."
Und jetzt höre, was weiter geschah, hohe Frau. Die Prinzessin bat mich, sie nach Hannai zu geleiten und auf dem Weg merkten wir, daß unsere Herzen einander zugeneigt waren. Als ich ihr sagte, ich würde bei ihrem Vater um ihre Hand bitten, da bestärkte sie mich und das sicher nicht allein in der Hoffnung, daß ich als ihr Gatte ihren Vater gewiß vor dem Zorn der Götter bewahren würde. So kamen wir endlich nach Hannai und durch die Vermittlung der Prinzessin empfing mich der König.
Er war freundlich und sagte: "Ich höre, du rettetest meine Tochter aus der Hand von Banditen, Hermil Tashrany. Dafür sollst du reich belohnt werden", und er winkte seinen Wesir heran.
Da verneigte ich mich tief und sagte: "Ich bin der zweite Sohn des Fürsten der Tashrany und keine Belohnung wäre mir so wertvoll wie eure dritte Tochter, die Prinzessin Sira, zu der ich eine tiefe Zuneigung empfinde, seit ich sie ..."
Doch kaum hatte ich diese Worte gesprochen, da rief der König laut nach seinen Wachen. "Ein Oshey wagt es, mit diesen Worten vor mich zu treten? Diese Chelembrut aus der Wüste wagt es? Sperrt ihn in meinen tiefsten Kerker und laßt ihn dort verhungern!"
Und so wurde ich weggeführt, ohne meiner Liebsten ein Abschiedswort sagen zu können. In der Nacht jedoch tat sich die Kerkertür einen Spalt weit auf und hinein schlich eine Dienerin meiner Geliebten. "Die Wachen sind betäubt", sagte sie flüsternd. "Folgt mir, ich werde euch sicher aus dem Palast führen." Und so wurde ich befreit. Seit diesem Tag jedoch schlich ich mich so oft es möglich war in die Frauengemächer des Palastes, um jeden Tag wenigstens ein paar Augenblicke bei meiner Geliebten weilen zu können. Heute aber überraschte uns das plötzliche Erscheinen des Königs und so versteckte ich mich hier in diesem Gemach." Der junge Mann senkte den Kopf und erwartete seine Strafe.
"Hat die Prinzessin meinem Gebieter denn nicht erzählt, daß ihr die Rettung vor dem Zorn der Götter seid?" fragte die siebte Frau des Königs leise.
Traurig schüttelte Hermil Tashrany seinen Kopf. "Sie hat es getan, aber der König glaubt nicht, daß die Götter überhaupt irgendetwas bewirken können, das seinem eigenen Willen zuwiderläuft." Schicksalergeben hob Hermil Tashrany die Hände.
"In der Tat, solcherart ist sein Wesen", sagte Patrais von Letran fast zu sich selbst und fragte dann beiläufig: "Woher habt ihr diesen Ring?"
Hermil Tashrany warf achtlos einen Blick auf den Goldring an seiner Rechten und fuhr mit dem Daumen der Linken über die Bruchkante des blauen Steinsplitters. "Er ist nichts wert. Wie ihr seht, fehlt die Hälfte des Steines. Es ist ein Andenken an meinen Vater... meinen leiblichen Vater."
Die Frau des Königs wiegte ihren Kopf. "Erzählt mir auch die Geschichte dieses Ringes und wenn sie mir gefällt, werde ich euch ungesehen aus dem Palast führen."
Die Augen des jungen Mannes wurden groß. "Oh, wahrhaftig?"
"Wahrhaftig."
Und der Jüngling begann:
*
"DIE GESCHICHTE VOM ZERBROCHENEN RING.
Ein Oshey-Krieger, der die Mitte seines Lebens schon hinter sich gelassen hatte, kam vor einigen Jahren zu unseren Zelten und fragte nach dem Fürsten der Tashrany. In seinen Armen trug er ein kleines Kind mit schwarzen Locken und bernsteinfarbenen Augen, das er Hermil Tashrany nannte.
Der Fürst bat den alten Krieger in sein Zelt, bot ihm Tee und Speisen und fragte schließlich nach seiner Geschichte. Da begann der Mann:
*
"DIE GESCHICHTE DES NESHRIM TEMHALY,
denn das ist mein Name, und vor langer Zeit, als ich nur wenig älter war als der Junge, den ich nun zu seinem Stamm gebracht habe, diente ich dem letzten wahren König Hannais, Kermul Tashrany, den man den Gerechten nannte. Doch als er gestürzt wurde von dem Hund, der aus Berresh herangekrochen kam, da ging ich davon, um nie mehr von Hannai hören zu müssen und dem Usurpator, der sich auf dem Goldenen Thron breitgemacht hatte.
Ich zog nach Norden und bot den Fürsten dort mein Schwert an. Der erste Fürst, bei dem ich mich als Kämpfer um seine Ehre verdingte, verlor mich schon bald bei einem Spiel an einen anderen Fürsten und ich kam zum Herzog von Kurruck, dessen Schloß auf einer Klippe über dem Nordmeer steht. Schon wenig später war allen Fürsten in der Umgebung des herzoglichen Schlosses bekannt, daß der neue Kämpe des Herzogs unschlagbar und ein Zauberer mit dem Schwert sei, und nur selten ergab sich die Notwendigkeit, für den Herzog die Klinge zu ziehen.
Die Jahre vergingen und obwohl der Herzog mich eher als seinen Besitz denn als seinen Kämpfer ansah, ging es mir in diesen Jahren nicht schlecht. Ja, ich begann sogar, die Schmach zu vergessen, die der Hund aus Berresh der Goldenen Stadt angetan hatte. Eines Tages jedoch rief man mich, gegen einen Jüngling zu kämpfen, der gegen eines der zahllosen Gesetze des Herzogs verstoßen hatte, indem er, als einfacher Spielmann, eine Klinge von über anderthalb Spannen Länge trug und noch dazu ein zweites Schwert.
Ich kleidete mich also in die schwarzen Gewänder, die der Herzog für mich hatte anfertigen lassen, denn er war sich des einschüchternden Eindruckes bewußt, den ich damit auf die Nordlinge machte, denen schwarzes Haar und dunkle Haut sehr fremdartig erscheint. Als ich den Kampfhof des herzoglichen Schlosses betrat, hatte sich dort schon eine Menge Schaulustiger gesammelt, die nach dem Blut des Spielmanns lechzten wie eine Horde Hyänen. Als ich mich in die Mitte des Platzes stellte, eine Hand am Heft meines langen Schwertes, seufzte die Menge vor Erwartung, doch ich verachtete mich, denn es ist nicht die Sache eines Kriegers, gegen einen Spielmann zu kämpfen, auch wenn der ein Gesetz gebrochen haben mochte.
Aus der Tür, die zur Schloßküche führte, trat der Majordomus des Herzogs und ihm folgte ein schmächtiger, bartloser Jüngling mit silberblassem Haar und solchen bernsteinfarbenen Augen wie sie auch dieses Kind in meinem Arm hat und die einem Falken alle Ehre machen würden. Die Haut des Spielmanns war dunkler, als es so weit im Norden üblich ist und sein langes, schmales Schwert, mit Sicherheit der Stein des Anstoßes, war unzweifelhaft das Werk eines Oshey-Schmiedes. Der Jüngling sollte mir zeigen, ob er das Schwert zu Recht trug und ich schwor mir, es ihm nicht leicht zu machen!
Als der Majordomus das Zeichen zum Beginn des Kampfes gab, griff ich an, doch der Jüngling, der zwei Köpfe kleiner war als ich, parierte mit Leichtigkeit, als handele es sich um eine Beleidigung seiner Fähigkeiten, daß ich als sein Gegner ausersehen war. Ich merkte schnell, daß der junge Spielmann das Schwert durchaus zu Recht trug und mit großer Wahrscheinlichkeit bei den größten Schwertmeistern der Oshey gelernt hatte. So wünschte ich mir bald, den Majordomus oder den Herzog selbst vor meiner Klinge zu haben anstatt dieses Meisters des Schwertkampfes.
Wenige Augenblicke später war ich entwaffnet und über den Rücken meiner rechten Hand lief ein langer jedoch nicht sehr tiefer Schnitt. Ich mißgönnte dem Jüngling seinen Sieg nicht, doch es war das erste Mal gewesen, daß ich in einem Kampf unterlegen war und der Herzog, der von einem Balkon aus zugesehen hatte, empfand diese Niederlage wohl als eine persönliche Beleidigung.
"Zeig diesem Knirps, was ein echter Kampf ist!" rief der Herzog in den Hof hinunter. "Heb dein Schwert auf! Worauf wartest du noch?!"
Mit einem Blick entschuldigte ich mich bei meinem jungen Gegner, der mein Sohn hätte sein können und hob mein Schwert auf. Doch ehe ich mich versah, war ich erneut entwaffnet und die Schwertspitze meines Gegners war nur durch den Stoff meines Hemdes von meiner Kehle getrennt.
Herausfordernd rief der Spielmann zum Herzog hinauf: "Seht ihr jetzt, daß ich der Bessere bin?"
Auch ich sah wieder nach oben und bemerkte, daß sich der kahle Kopf des Herzogs vor Wut rot verfärbte. "Töte ihn, Spielmann, dann kannst du mein Kämpe werden!" rief er zornig herunter.
"Ich will etwas anderes!" rief der Jüngling zurück und sein Schwert verharrte regungslos an meiner Kehle. "Ich will diesen Mann!"
Aus den Augen des Herzogs sprühte der Zorn, doch er nickte und zog sich vom Balkon in das Innere des Schlosses zurück. Die Menge der Zuschauer verlief sich murrend.
Geschwind ließ der Jüngling sein Schwert zurück in die Scheide gleiten, reichte mir das meine und zog mich mit sich in die Küche. Nahe am Herd lag ein geflickter lederner Umhang und eine reich mit Intarsien verzierte Laute - Lilien und Sternblumen schmückten ihren Schallkörper und Efeu ihren Hals. Auf einem formlosen Lederbeutel ganz in der Nähe saß ein kleiner Junge, dieser, den ihr hier seht, in einer Hand ein Stück Käse an dem er kaute, in der anderen den Griff eines kurzen, für ihn jedoch viel zu großen Schwertes mit silberbeschlagener Scheide. Da die Augen des Knaben das gleiche Bernsteingelb wie die Augen des Jünglings hatten, dachte ich mir, daß sie wohl Brüder sein müßten.
In ruhiger Eile packte der Jüngling seine Habe zusammen, hing sich Beutel und Laute an bestickten Riemen auf den Rücken und nahm den Knaben auf die Arme. "Wenn ihr Hannai retten wollt, kommt mit mir und tut, worum ich euch bitte", sagte der Jüngling zu mir und verließ schon die Küche. Und bevor ich wußte, wie mir geschah, nickte ich und folgte so wie ich war dem schnellen Schritt des Jünglings, der seinen Weg offenbar klar vor sich sah.
Den Tag über wanderten wir fast schweigend nach Süden, dann, in der Nacht, machten wir eine Rast und entzündeten ein Feuer. "Hört mir gut zu, denn mir bleibt nicht mehr viel Zeit", begann der Jüngling und zog einen für seine Hand viel zu klobigen Goldring mit einem großen, rundgeschliffenen Sternsaphir, tiefblau und makellos, von einem Finger und gab ihn mir. "Prägt euch das Aussehen dieses Steines gut ein. Dieser Knabe heißt Hermil Tashrany. Bringt ihn zu seinem Stamm. Einst wird die Zeit kommen, da er mehr über seine Herkunft und sein Schicksal erfahren muß, doch das wird erst geschehen, wenn dieser Ring, den ihr in der Hand haltet, wieder ganz ist." Da zuckte plötzlich ein einzelner Blitz aus dem Himmel herab und spaltete den Stein. Eine Hälfte fiel heraus, die andere Hälfte jedoch blieb fest in der Fassung. Der Jüngling nahm das Saphirstück an sich. "Bringt diesen Jungen zum Stamm der Tashrany und bittet seinen Fürsten, dieses Kind wie sein eigenes aufzuziehen. Übergebt auch den zerbrochenen Ring und dieses Schwert, damit beides einst an diesen Knaben weitergegeben wird, als eine Erinnerung an seinen Vater." Und mit diesen Worten gab mir der Spielmann das kurze, silberverzierte Schwert, das ich hier in der Hand halte." Und der alte Krieger legte vor dem Fürsten der Tashrany ein sorgfältig gearbeitete Schwert städtischer Machart auf die Teppiche. Dann legte er den beschädigten Ring neben das Schwert und sagte: "Und dies ist der Ring, von dem ich erzählte."
Der Fürst der Tashrany besah sich Schwert und Ring und der alte Krieger fuhr fort: "Nach den Worten des Spielmanns dachte ich, er sei der Vater des Jungen und so fragte ich: "Wer seid ihr, damit ich dem Fürsten der Tashrany euren Namen sagen kann."
Da antwortete mir der Spielmann: "Ich bin gesandt worden, Hannai zu retten. Mein Name ist unwichtig." Und plötzlich umströmte den Jüngling blendend weißes Licht. Wie ein Ertrinkender griff er nach der Laute, die neben ihm lag. "Versprecht mir noch eines", sagte er flehend und es klang wie aus weiter Ferne. "Wenn ihr den Stamm der Tashrany erreicht habt, gebt Nachricht nach Letran, an eine Frau namens..." Aber den Namen sagte der Jüngling nicht mehr. Er und die Laute, die er in der Hand gehalten hatte, waren verschwunden und ein weißer Falke flog kreischend von dem Ledermantel auf, auf dem der Jüngling am Feuer gesessen hatte." Und mit diesen Worten beendete der alte Krieger seinen Bericht.
"Das muß ein Bote des Ungenannten gewesen sein", sagte da einer der Ältesten des Stammes, denn der Rat der Tashrany hatte zusammen mit dem Fürsten die Geschichte des Neshrim Temhaly angehört. "Man sagt, die Unirdischen hätten silbriges Haar und verstünden sich meisterlich auf alle Künste der Irdischen. Außerdem erscheinen sie den Sterblichen oft in Gestalt eines weißen Falken, wie ihr Gebieter, der Ungenannte selbst."
Und ein anderer der Ältesten ging zu dem alten Krieger hin und sah dem Knaben, den er in seinen Armen hielt, ins Gesicht. "Dieser Junge... seine Falkenaugen zeigen, daß auch er das Blut der Unirdischen in sich hat... mein Fürst, wenn ich dir raten darf, nimm diesen Knaben als dein eigenes Kind an und lehre ihn alles, was du weißt. Sicher steht ihm ein bedeutendes Schicksal bevor, da er den Namen eines unserer bedeutendsten Fürsten trägt."
Da nickte der Fürst der Tashrany und tat, wie der Älteste ihm geraten hatte. Neshrim Temhaly jedoch, der den Jungen zu seinem Stamm gebracht hatte, verabschiedete sich schon bald wieder von den Tashrany und zog weiter zu seinem eigenen Stamm, mit einem schnellen Reitkamel, daß ihm der Fürst der Tashrany geschenkt hatte.
Diese Geschichte erzählte mir mein Vater, als ich alt genug war, ihren Sinn zu verstehen und wie ihr seht, trage ich den Ring mit dem zerbrochenen Stein und das Schwert, in einer roten Lederscheide, verziert mit silbernen Beschlägen und mit einem Griff, der ebenfalls mit rotem Leder umwunden ist, liegt bei meinen Besitztümern in meinem Zelt. Seid ihr zufrieden mit meiner Geschichte, hohe Frau?" fragte Hermil Tashrany.
"Mit euch scheint es tatsächlich eine ganz sonderbare Bewandnis zu haben", sagte Patrais von Letran daraufhin nachdenklich. "Ich glaube sogar, euer Schicksal ist mit dem meinen verbunden, denn aus meiner Geschichte könnt ihr wohl auch etwas über eure Herkunft entnehmen."
"Erzählt es mir!" rief da Hermil Tashrany aufgeregt, so daß die Frau des Königs ihn ermahnen mußte: "Pst! Seid leise! Wenn einer der Haremswächter euch bei mir findet, kann ich nicht mehr für eure Sicherheit garantieren."
Hermil Tashrany schwieg betroffen und die Frau des Königs legte die schmalen Hände aneinander um sich zu sammeln. Dann begann sie:
*
"DIE GESCHICHTE DER PATRAIS VON LETRAN.
Meine Mutter lebte in Letran. Sie war die Gildemeisterin der Kräuterfrauen und überall für ihre Heilkunst bekannt. Ihr müßt wissen, daß der Name Patrais in Letran recht ungewöhnlich ist, denn es ist ein Oshey-Name und nur wenige Oshey dringen bis Letran in den Norden vor.
Eines Tages nun fragte ich meine Mutter: "Warum hast du mich Patrais genannt? Andere Mütter geben ihren Töchtern den Namen einer Ahnin, aber keine Frau in unserer Familie hieß Patrais."
Daraufhin lächelte meine Mutter versonnen und begann: "Ich werde dir die Geschichte der Frau erzählen, nach der du benannt worden bist.
*
DIE GESCHICHTE DER PATRAIS TASHRANY.
Vor einigen Jahren klopfte es des Nachts an meine Tür. Draußen stand eine elend und zerlumpt aussehende kleine Gestalt mit kurzem rotem Haar, die mich mit kläglicher Stimme um Hilfe bat. Ein Kind, das sich verlaufen hat, dachte ich und als ich den Schmerz in seinen Augen sah, der alles Leid der Welt wiederzuspiegeln schien, ließ ich es herein. Ich nahm ihm den zerlumpten Ledermantel ab und seinen Beutel und sah, daß an einem anderen, sorgfältig bestickten Riemen eine Laute hing, die mit wunderbaren Intarsien verziert war: mit Lilien und Sternblumen und am Hals mit Efeu."
Und so, wie meine Mutter die Laute beschrieb, muß es genau diejenige gewesen sein, von der auch Neshrim Temhaly sprach, der euch zu den Zelten der Tashrany brachte. Doch meine Mutter erzählte auch von den beiden Schwertern: "Eines war schmal und sehr lang, das andere war kurz, in einer Scheide aus rotem Leder und mit silbernen Ornamenten verziert. Und an seiner Hand trug das Kind einen dicken aber schlichten Goldring, in den ein großer, rundgeschliffener Sternsaphir gefaßt war.
"Wer bist du?" fragte ich, denn die Schwerter, der Ring und die kostbare Laute schienen mir seltsam angesichts der schäbigen Kleidung des Kindes.
"Ich bin Patris", sagte das Kind leise und dann, voller Erschütterung flüsterte es wie zu sich selbst: "Er hat ihn ermordet. So beiläufig, als würde er irgendein Insekt zerquetschen... seinen eigenen Neffen hat er getötet. Oh, Götter, wann hört dieses Morden auf?" Sichtlich erschöpft und wie ein Häuflein Elend saß das Kind am Herd und starrte in die Flammen, als gäbe es nichts mehr auf der Welt, für das es sich zu leben lohnte. Seine Stirn war fiebrig und als ich mich anschickte, es zu entkleiden, um Brust und Rücken mit einer Salbe einzureiben, ließ das Mädchen es willenlos mit sich geschehen. Ich bereitete ihm einen Schlaftrunk und richtete ein Nachlager. Doch es dauerte noch fast bis zum Morgen, bis das Mädchen endlich einschlief und noch schlafend beklagte es die Ungerechtigkeit der Welt und sprach von dem Mord an einem, den es Lanas nannte.
Am nächsten Morgen schließlich, als ich dem Mädchen eine Suppe zu seiner Stärkung ans Lager brachte, fragte ich beiläufig, ob es mir nicht seinen Kummer erzählen wolle, sicherlich würde es ihm dann gleich viel besser gehen. Und sie sah mich aus großen, verängstigten Augen an, als hätte ich sie mit meinen Worten wie mit einer Waffe bedroht. Und da schien die Morgensonne ihr direkt ins Gesicht und ich sah, daß ihre Augen eine ganz ungewöhnliche Farbe hatten, wie altes Gold und doch auch wie eine lodernde Flamme, doch das Licht in ihnen war bis auf ein kümmerliches Flämmchen erloschen. Auch ihr Haar war ungewöhnlich, merkte ich jetzt. Es hatte zwar einen statten Rotton, wie das Haar vieler, die aus dem Osten oder Norden kommen, doch an seinem Ansatz an der Stirn und an den Schläfen schimmerte es silbern, wie gebleichte Seide. Und so wollte ich wissen: "Wer bist du? Du hast dich Patris genannt, doch das ist ein Jungenname. Woher kommst du, daß du in diesem jämmerlichen Zustand bist, und schließlich, wer ist Lanas, um den du trauerst, wie um einen Bruder?"
Die Angst wich langsam aus ihrem Blick, als erwache sie aus einem Alptraum, doch lange sagte sie nichts und ich fürchtete, sie mit meinen Fragen verschreckt zu haben. Doch dann begann sie: "Ich nenne mich Patris und Lanas nannte ich meinen Bruder. Doch das ist genauso falsch wie die Farbe in meinem Haar. Ich heiße Patrais Tashrany und komme aus Hannai."
"Es ist ein langer Weg von Hannai bis Letran", sagte ich leise und Patrais Tashrany nickte. Wieder schwieg sie, doch dann sah sie mich flehend an und sagte: "Laßt mich euch alles über mich erzählen. Zu viele sind gestorben und ich werde scheitern, wenn ihr mir nicht helft."
Ich setzte mich neben das Lager auf einen Hocker. "Erzähl, mein Kind und wenn ich kann, werde ich dir helfen."
Patrais Tashrany setzte sich auf und begann: "Dann höre also:
*
DIE GESCHICHTE VON NEFUT DEM LÖWEN.
Mein Vater Nefut war der Sohn einer Sklavin, die Resan von Berresh, dem König von Hannai, einst geschenkt worden war, nachdem er die Regierung übernommen hatte. Wenige Tage nach ihrem Erhalt schenkte Resan die Sklavin weiter an einen verdienten Kämpfer unter seinen Gefolgsleuten und dieser galt als der Vater meines Vaters.
Mein Vater wuchs heran und auf Drängen seiner Mutter erlaubte es ihr Gebieter endlich, zu seiner Erziehung Lehrer unter den Weisen der Oshey auszuwählen und auch einen Schwertmeister, damit er die Kunst des Kampfes erlerne. Noch bevor er ganz zum Manne gereift war, galt er am Hofe des Königs schon als großer Held und wurde bald Nefut der Löwe genannt, denn während einer Jagd, die der König für seinen Sohn Ashan und die Söhne seiner Getreuen veranstaltet hatte, rettete mein Vater dem Prinzen Ashan das Leben, indem er dessen Pferd im letzten Moment von einer Schlucht zurückriß. Dabei wurde der Schwertarm meines Vaters so schwer verletzt, daß ihm der Arm schließlich abgenommen werden mußte.
Nie jedoch war mein Vater deswegen verbittert, obwohl der Schwertkampf sein größtes Vergnügen gewesen war. Doch den Prinzen Ashan verehrte er über alles und stolz trug er den juwelengeschmückten Dolch, den der König ihm für seine tapfere Tat geschenkt hatte. Nefut der Löwe lernte, mit der Linken das Schwert zu führen und schon bald hatte er wieder einige Fertigkeit mit der Waffe erlangt.
Eines Nachts, Jahre nach jedem heldenhaften Unfall und zwei Tage vor seiner Hochzeit mit der ältesten Tochter einer befreundeten Familie, hatte er jedoch einen sonderbaren Traum: unversehrt, mit beiden Armen, jedoch ohne irgendwelche Kleidung stand er in einem großen blühenden Garten und über ihm kreisten hoch im blauen Himmel weiße Falken. Tiefer Friede erfüllte meinen Vater und der Wunsch, ewig in diesem Garten zu bleiben und dem Flug der Falken zuzusehen wurde so übermächtig, daß er sich ins Gras legte und gerade hinauf in den Himmel sah. Da ließ sich einer der Falken aus dem Himmel fallen und noch bevor er den Boden erreichte, verwandelte er sich in eine grazile Frau von unsagbarer Schönheit, allein mit langem wie Silber glänzendem Haar bekleidet und mit bernsteinfarbenen Augen, die einem Falken zu gehören schienen. Und ohne ein Wort zu sprechen legte sie sich zu ihm und nahm seinen Samen in ihren Schoß auf.
Voller Trauer erwachte mein Vater aus diesem Traum, denn mit der Schönheit dieser unirdischen Erscheinung konnte sich keine sterbliche Frau messen und nirgends in der Welt der Menschen würde solcher Friede zu finden sein, wie ihn der blütenübersäte Garten geboten hatte. Doch Nefuts Braut war für einen Menschen von außerordentlicher Schönheit und so verblich der Traum, auch wenn mein Vater ihn niemals vergaß.
Ein Jahr ging dahin und ein zweites und der Vater meines Vaters starb, ebenso wie Resan von Berresh und Resans Sohn Ashan wurde König von Hannai und machte Nefut zu seinem geehrten Vertrauten und Berater. Die Frau Nefuts jedoch empfing nicht, aber da mein Vater sie wahrhaftig liebte, machte er ihr keinen Vorwurf, ja er dachte noch nicht einmal daran, eine weitere Frau zu nehmen. Da hatte er jedoch erneut einen wundersamen Traum, der ihn wieder in jenen Garten führte, in dem er bei einer Unirdischen gelegen hatte. Und wieder stand er nackt dort, doch diesmal fehlte sein Arm und über ihm kreiste diesmal nicht die Menge der weißen Falken sondern nur ein einzelner und als der meines Vaters ansichtig wurde, da stürzte er auch schon zur Erde und verwandelte sich noch im Fluge zu jeder Frau, die zwei Jahre zuvor bei ihm gelegen hatte.
In ihren Armen hielt sie ein Kind, das wie die Frau Augen wie ein Falke hatte und auch das silbrig schimmernde Haar der Unirdischen, seine Haut jedoch war dunkel wie die seines Vaters. Die Unirdische reichte meinem Vater dieses Kind und sagte: "Das Blut der Sterblichen fließt in seinen Adern, daher kann es nicht länger bei mir bleiben. Sie ist deine Tochter und am Morgen werde ich sie zu dir bringen. Erzähle deiner Frau von deinen Träumen und berichte auch deiner Tochter von mir. Wenn sie herangewachsen ist, schicke sie zu mir zurück, sie wird den Weg finden." Und mein Vater erwachte.
Sogleich berichtete er seiner Frau von diesem Traum und jenem, der zwei Jahre zurücklag und seine Frau hörte ihm ruhig zu und sagte dann: "Ich werde deine Tochter aufziehen, als hätte ich selbst sie geboren."
Da sprach mein Vater: "Vor der Welt soll sie als dein leibliches Kind gelten und so wird niemand erfahren, daß du unfruchtbar bist."
Als der Morgen angebrochen war, kam zum Hause meines Vaters eine alte Frau und in einem Korb trug sie ein Neugeborenes, ein kleines Mädchen mit silbrigem Haar und bernsteinfarbenen Augen. Und als man die alte Frau einließ, sagte sie kein Wort sondern stellte Nefut dem Löwen nur den Korb vor die Fuße und verließ das Haus so schweigend, wie sie es betreten hatte. Und am Hofe in Hannai wurde bekannt gemacht, daß die Frau des königlichen Beraters eine über alle Maßen schöne Tochter geboren hätte, die Patrais heißen solle.
Die Mutter meines Vaters, die nach dem Tode ihres Gebieters in das Haus ihres Sohnes gezogen war, bestand darauf, daß auch ihre Enkelin von den Weisen der Oshey erzogen und daß auch sie in der Kunst des Schwertkampfes unterwiesen werden sollte, obwohl sie ein Mädchen war. Viele Jahre vergingen und ich wuchs heran. Man unterrichtete mich und erzog mich zu gottgefälligem Handeln und lehrte mich all jene Künste, die einem Mädchen nicht anstanden, wie man sagte. Lange Zeit zerrissen sich die Diener den Mund darüber, daß die Tochter Nefuts in den Männern vorbehaltenen Künsten unterwiesen werde, doch mit der Zeit gewöhnten sie sich daran ebenso, wie an mein helles Haar und meine gelben Augen.
Dann kam jedoch der Tag, an dem die Mutter meines Vaters spürte, daß sie dem Tode näher war als jemals zuvor, und so rief sie nach ihrem Sohn. Am Abend jenes Tages starb meine Großmutter, mein Vater jedoch ging ohne ein Wort aus dem Haus und kam erst sehr spät in der Nacht wieder, zusammen mit einem großen, schlanken und sehr elegant gekleideten Mann. Mich beeindruckte die Erscheinung des fremden Mannes und ich schlich ihnen nach, um zu belauschen, was mein Vater mit diesem Mann zu bereden hatte.
"Kennt ihr den großen Edelstein, der das Zepter des hannaischen Königs schmückt?" fragte mein Vater den unbekannten Mann.
"Wer kennt diesen Edelstein nicht?" fragte der Mann zurück und hob eine seiner scharf konturierten schwarzen Augenbrauen, die wie die Schwingen eines stolzen Raubvogels über seinen schwarzen Augen schwebten.
Mein Vater schwieg dazu und zeigte dem Mann eine Papierrolle. Er erklärte: "Das ist ein Plan der Geheimgänge des königlichen Palastes. Es gibt einen Gang, der zur königlichen Schatzkammer führt, in der die Herrscherinsignien verwahrt werden. Der Gang und die Kammer sind allein durch eine Tür voneinander getrennt, die einfach zu öffnen ist."
"Wollt ihr den Edelstein stehlen lassen?" fragte der Mann neugierig und deutlich interessiert.
"Ich will meinem König und Freund", mein Vater betonte dieses Wort auf eine außerordentliche Weise, "mit dieser Übung beweisen, wie schlecht geschützt und leicht zugänglich die Schätze der Stadt sind, die am besten gehütet werden müßten... bevor ich euch jedoch über den Öffnungsmechanismus der Tür aufkläre, müßt ihr wissen: mit der Annahme der Hälfte eures Lohnes verpflichtet ihr euch, mir den Stein morgen zu dieser Stunde ins Haus zu bringen. Dann erhaltet ihr auch die andere Hälfte der sechshundert Goldstücke."
Es verschlug mir den Atem, denn selbst für meinen Vater, der als außerordentlich wohlhabend galt, war diese Summe ein Vermögen. Dieses Unternehmen mußte meinem Vater sehr am Herzen liegen. Papier raschelte und ich sah, wie mein Vater den Plan der Geheimgänge auf einem Tisch ausbreitete, mühsam mit einer Hand, aber er ließ sich nicht von seinem Besucher helfen. Mit seinem Zeigefinger deutete er auf die Karte: "Prägt Euch diesen Zugang und den Weg genau ein, denn die Karte bleibt bei mir. In der Mitte der bewußten Tür ist ein Eisenring, der den Schließmechanismus in Gang setzt. Er muß drei mal nach links und eine halbe Drehung nach rechts gedreht werden." Während der fremde Mann sich über die Karte beugte, holte mein Vater einen prallen Lederbeutel aus seiner Geldschatulle, die die versprochenen dreihundert Goldstücke enthalten mußte, die Hälfte der Summe, die er für den Diebstahl zu zahlen bereit war. "Laßt das Zepter selbst unberührt", ermahnte mein Vater den Mann. "Es geht mir nur um den Stein." Dann rief er einen Sklaven, der den Mann hinausgeleitete. In dieser Nacht lag ich noch lange wach und fragte mich, was meine sterbende Großmutter meinem Vater wohl erzählt haben mochte.
Am nächsten Tag war mein Vater sehr unruhig und immer wieder ging er hinaus in den Garten und sah in den Himmel, nach dem Stand der Sonne, als erwarte er sehnsüchtig den Anbruch der Nacht. Als es schließlich dunkel wurde, verschlimmerte sich seine Unruhe noch und endlich wurde es Nacht, doch der fremde Mann, der für meinen Vater den Stein aus dem Zepter des Königs hatte stehlen sollen, war noch nicht gekommen. Schließlich ging ich zu Bett und als ich mit Sonnenaufgang erwachte, kam die Frau meines Vaters in mein Zimmer und sagte zu mir: "Dein Vater will, daß ich dir erzähle, was er von seiner Mutter erfuhr. Er selbst ist bereits zum König gegangen.
Von seiner Mutter erfuhr dein Vater die Geschichte deines Großvaters, deines wahrhaftigen Großvaters, denn weder der Mann, dessen Sklavin deine Großmutter war, noch Resan von Berresh, wie einige Gerüchte besagen, war der Vater deines Vaters, sondern Kermul Tashrany, der letzte der Oshey-Könige Hannais, zeugte ihn. So ist der wahrhafte Name deines Vaters also Nefut Tashrany und der deine ist Patrais Tashrany. Und nun höre die wundersame Geschichte, die deine Großmutter zu erzählen hatte:
*
DIE GESCHICHTE VOM VERMÄCHTNIS DES LETZTEN OSHEY-KÖNIGS VON HANNAI.
Vor fast vierzig Jahren herrschte Kermul Tashrany, den das Volk den Gerechten nannte, über Hannai und seine jüngste Frau war jene, die deine Großmutter wurde. Eines Tages jedoch kam der König und sein Wesir zu ihr und fragten sie: "Erwartet ihr ein Kind des Königs?"
Und die Frau wunderte sich, wie sie es wissen konnten, denn sie selbst wußte es erst seit kurzem mit Gewißheit und wollte es dem König in dieser Nacht offenbaren. "Woher wißt ihr, daß ich ein Kind von meinem Gemahl erwarte?" fragte sie darum und der König sagte: "Ein weißer Falke hat es mir im Traum offenbart. Und er sprach auch von einer giftigen Schlange hier im Palast, die alles daran setzt, mich vom Goldenen Thron zu stürzen."
"Denkt ihr etwa, ich könnte diese Schlange sein?" fragte die junge Frau da erschrocken, denn sie wünschte dem König, den sie sehr liebte, nichts als Gutes.
Doch der König beruhigte sie. "Die Schlange ist mein neuer Ratgeber, der sich Prinz Resan von Berresh nennt. Viele meiner Getreuen hatte er schon auf seine Seite gezogen, bevor ich oder mein Wesir es bemerkten. Doch jetzt ist sein Plan zu weit gediehen, als daß man das Unglück noch sicher abwenden könnte, das Hannai droht. Nicht einmal mit der Hilfe der Götter läßt sich jetzt noch etwas daran ändern. Nur die Zeit hat die Macht, alles wieder in die richtigen Bahnen zu lenken... aber nun höre meinen Plan, geliebte Gattin und Mutter meines Erben. Resan von Berresh hat mich und meinen Wesir zu einer Jagd eingeladen, von der ich gewiß nicht lebend zurückkehren werde, und auch meinen Kindern und Frauen, sowie allen, die sich auf meine Seite stellen, droht Gefahr. Doch allein Dich kann ich retten und unseren ungeborenen Sohn, so wirst du meine Rache an Resan von Berresh sein, denn er vergeht sich gegen die Götter, wenn er einen Tashrany vom Thron stürzt und seine Frauen und Kinder ermordet.
Breche noch heute abend zusammen mit meinem Wesir nach Osten auf. Er bringt dich zu einem Mann, der sein verschworener Bruder ist und der dich hierher zurückbringen wird, sobald Resan von Berresh als König auf dem Goldenen Thron sitzt. Er wird als Gesandter eines Nachbarlandes auftreten und dich als Geschenk seines Königs an Resan von Berresh übergeben. Wenn Resan von Berresh dir beiwohnt, sage, das Kind, das du nun unter dem Herzen trägst, sei von seinem Samen und sorge dafür, daß unser Sohn in allem unterrichtet wird, was sich für einen Tashrany geziemt. Von seiner wahren Herkunft berichte unserem Sohn jedoch erst, wenn du merkst, daß sich dein Ende naht. Und nun höre noch die geheimen Worte, die zusammen mit dem Edelstein im Zepter des hannaischen Königs seit Jahrhunderten dem Gerechten die Hilfe der Götter sichern." Und der König lehrte seine jüngste Frau die heiligen Worte, damit sie diese an ihren Sohn weitergeben könne und nun lehrte mich die Frau meines Vaters dieselben heiligen Worte.
"Es geschah tatsächlich alles so, wie der König befürchtet und geplant hatte", fuhr die Frau meines Vaters fort. "Er und sein Wesir und alle seine Getreuen, die nicht vorher geflohen waren, wurden getötet und mit ihnen ihre Frauen und Kinder. Nach dieser blutigen Machtübernahme kam der Eidbruder des Wesirs mit der Frau des getöteten Königs zurück nach Hannai, stellte sich als Abgesandter eines benachbarten Königreiches vor und überreichte dem König als Geschenk seines Fürsten eine wunderschöne Sklavin aus dem Harem seines Herrn.
Der Usurpator, der sich nun Resan der Eroberer nannte, war in der Tat sehr angetan von der Schönheit seiner neuen Sklavin, doch nach wenigen Tagen sah er sich gezwungen, Versprechen denen gegenüber einzulösen, die auf seiner Seite gekämpft hatten und so wurde die Sklavin an einen Getreuen des König weitergegeben, der seit dem als Vater deines Vaters galt."
Die Frau meines Vaters schwieg dann eine Weile und ihr Gesicht war traurig. "Es war das Schlimmste, was man deinem Vater sagen konnte", sagte sie dann seufzend. "Nefut riskierte also für den Sohn des Mörders seines leibhaftigen Vaters sein Leben und verlor bei dieser Rettung seinen Schwertarm. Dein Vater sagte mir, er würde vor den König treten und den Thron von ihm zurückfordern, doch welche Chance hat er ohne den Edelstein aus dem Zepter des Königs, auch wenn er die heiligen Worte kennt? Man wird ihn verlachen oder sogar töten für seinen Hochmut und uns wird es nicht besser ergehen."
Da umarmte ich die Frau meines Vaters und sagte um sie zu trösten: "Aber er hat doch einen Mann beauftragt, den Edelstein aus dem Zepter zu stehlen."
Da sah mich die Frau meines Vaters mit Tränen in den Augen an. "Ach, mein Kind, das macht alles nur umso schlimmer, denn der Mann, den er beauftragte, hat ihn betrogen. Auch ich wußte von dem geplanten Diebstahl, doch der Mann kam nicht zur festgesetzten Stunde und dein Vater bracht auf, ohne den Schutz, den ihm die Hilfe der Götter geboten hätte."
Da flog plötzlich die Tür zu den Frauengemächern auf und eine Dienerin lief mit wehenden Gewändern herein. "Herrin, ein Diener eures Gemahls kam soeben aus dem Palast des Königs und hat Nachricht für euch."
Da eilte die Frau meines Vaters hinaus und ich folgte ihr, um zu hören, wie es meinem Vater ergangen war. Der Diener war erschöpft, von seiner Stirn tropfte der Schweiß und er keuchte, als er sagte: "Herrin, ich belauschte die Rede, die mein Gebieter, euer Gemahl, vor dem König und seinem Hofstaat hielt. Sie war flammend und voller Haß, er beschimpfte den König als den Sohn eines gemeinen Mörders, den er lieber in den Abgrund hätte stürzen lassen sollen, als ihn zu retten und dabei den Schwertarm zu verlieren. Und er beschuldigte die Berater des Königs, offenen Auges den Sohn eines Verbrechers auf dem Goldenen Thron - den doch die Götter selbst geschaffen haben - zu dulden. Wenn man ihm den Stein aus dem Zepter brächte, würde er allen zeigen, daß er die Macht habe, die Götter um Hilfe anzurufen, wie es zuletzt Kermul Tashrany, der letzte Oshey-König Hannais vermocht habe. Diese Herausforderung nahm König Ashan an und er rief nach seinem Zepter. Er werde allen beweisen, daß Nefut der Löwe lauter brüllte, als ihm anstand, doch da bemerkte man, daß der Stein aus dem Zepter gestohlen worden war. Da rief mein Herr: "So hat der Dieb also uns alle betrogen!" und stürzte sich in sein Schwert, um von eigener Hand zu sterben.
Ich eilte sofort hierher zurück, denn auch euch und eurer Tochter droht Gefahr, Herrin. Die Männer des Königs sind bereits unterwegs." Der Diener meines Vaters hatte seinen Bericht beendet und, am Ende seiner Kräfte, stürzte er zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Die Frau meines Vaters jedoch befahl sofort, einfache Kleidung für einen Knaben meiner Statur zu bringen und ging daran, mir eigenhändig die langen, hellen Haare abzuschneiden und den verbliebenen Rest mit einer Tinktur dunkelrot zu färben. Sodann befahl sie mir, die Knabenkleidung anzuziehen, gürtete mich mit dem Schwert, das mein Vater für mich hatte anfertigen lassen, nachdem ich meine Lehrer in ihrer Kunst übertroffen hatte, und schickte mich aus dem Haus meines Vaters. "Suche deine wahre Mutter auf. Bei den Unirdischen wirst du in Sicherheit sein und vielleicht gebierst du den Tashrany eines Tages den Sohn, der Hannai mit Hilfe der Götter auf den Wahren Weg zurückführt."
Dies war die Geschichte Nefut Tashranys, den man den Löwen nannte und der mein Vater war. Und es war auch der Anfang meiner Geschichte. Nun wißt ihr, wer ich bin, doch die Frau meines Vaters irrte sich, als sie sagte, ich würde die Unirdischen finden. Seit Monaten suche ich jetzt und alles was ich fand war eine kurze Liebe, beendet durch einen grausamen Mord."
Da strich ich Patrais Tashrany über die fiebrige Stirn und bat sie, zu essen und zu schlafen und mir ihre weitere Geschichte mit frischen Kräften am nächsten Tag zu erzählen.
Als ich am nächsten Morgen wieder nach ihr sah, empfing sie mich mit einem kleinen Lächeln und ich merkte, daß es ihr viel besser ging. Ich setzte mich wieder und sie begann:
*
"Laßt mich nun DIE GESCHICHTE VON LANAS DEM ROTEN erzählen.
Nachdem ich das Haus meines Vaters verlassen hatte, lief ich einfach nur fort und merkte schon bald, daß ich mich in der großen Stadt Hannai, von der ich nur wenige Straßen der vornehmen Südstadt kannte, verlaufen hatte. Ich setzte mich an einem Brunnen in den Schatten der Bäume und war der Verzweiflung nahe. Ich mußte daran denken, daß ich weder meinen Vater noch seine Frau jemals wiedersehen würde, denn beide waren tot oder doch so gut wie tot. Allein die Hoffnung blieb mir, eines Tages meine leibliche Mutter zu finden, die Unirdische, die bei meinem Vater gelegen hatte. Und vielleicht gelang es mir auch, Rache zu nehmen an jenem Dieb, der meinen Vater betrogen und damit in den Tod getrieben hatte.
Da sah ich plötzlich die Wachen des Königs, wie sie jeden auf dem Brunnenplatz lange befragten und ich wußte, daß sie nach mir, nach der Tochter des Verräters Nefut suchten. Ich schlich mich davon und drückte mich in eine enge Gasse, um dort den forschenden Blicken der königlichen Wachen zu entgehen, dabei stieß ich plötzlich gegen jemanden, der mir entgegen kam. In der Düsternis der Gasse konnte ich nicht viel von ihm erkennen, nur daß er groß war und starke Hände hatte, mit denen er mich an den Schultern packte und schüttelte. Er fragte barsch: "Was willst du hier, kleine Ratte?"
Ich stotterte herum und versuchte, mich dem unbarmherzigen Griff zu entziehen, aber der Mann presste mich einfach gegen die Wand und befahl: "Chelem! Sei still!"
Noch nie hatte jemand in meiner Gegenwart geflucht oder in einem solchen Ton mit mir gesprochen. Ich war so verblüfft, daß ich tatsächlich verstummte. Der Mann schob mich vor sich her aus der Gasse, wieder zurück auf den Brunnenplatz, wo die Wachen des Königs noch immer alle befragten. Einer der Wächter kam auch auf mich und den Mann zu. "Habt ihr einen kleinen Jungen mit weißen Haaren und gelben Augen gesehen?" fragte der geharnischte Mann.
Ich hielt den Kopf gesenkt, um mich nicht durch die Farbe meiner Augen zu verraten, denn Haarfärbemittel sind kein ungebräuchliches kosmetisches Hilfsmittel. Ich machte mich darauf gefaßt, an den Wächter ausgeliefert zu werden, doch der Mann, der mich noch immer fest im Griff hatte, antwortete dem königlichen Wächter frech: "Und hast du den Kerl gesehen, dessen Pferd nach meinem Bruder ausgetreten hat? Der Kleine ist noch immer ganz verstört." Der Mann schob mich dem Wächter hin, aber der kümmerte sich nicht um mich.
"Dein Bruder interessiert mich nicht, Kerl", schnappte der Wächter ungehalten. "Sieh zu, daß du besser auf ihn Acht gibst!" Als der Schritt der genagelten Stiefel sich entfernte, wagte ich zögernd, den Kopf zu heben. Der Mann lockerte seinen Griff, drehte mich zu sich um und besah sich forschend meine Augen. "Gelbe Augen? Nein, mein kleiner Bruder hat Augen wie zwei Topase... und was machst du mit diesem langen Schwert, kleiner Mann?" Er befingerte mein schmuckloses Oshey-Schwert und murmelte etwas von guter Arbeit.
Inzwischen musterte ich meinen 'Retter'. Er war ganz in rot gekleidet, schlank und hochgewachsen und mochte seiner Haar- und Hautfarbe nach fast ein Oshey sein. Und er war sicherlich kaum siebzehn Jahre alt und damit nur wenig älter als ich selbst. An einem quer über seine Brust laufenden, reich bestickten Lederriemen hing eine Laute, von der ich über seiner rechten Schulter nur das oberste Wirbelpaar sah, ein zweiter Riemen gehörte zu einem Ledersack und an einem rot gefärbten Gürtel hing ein kurzes Schwert in einer silberbeschlagenen Scheide, wie es bei den jungen Männern aus Hannais vornehmen Familien Mode war. Seine schwarzen Augen unter den geschwungenen Augenbrauen betrachteten mich prüfend, dann neigte er leicht seinen Kopf und sagte: "Ich bin Lanas der Rote. Wohin unterwegs, kleiner Freund? Ich ziehe nach Norden."
Und da mir diese Richtung so gut wie jede erschien, sagte ich: "Mein Name ist Pa..tris", denn mir fiel ein, daß ich nicht meinen wahren Namen nennen konnte, ohne mich als Frau zu demaskieren. "Laß mich mit dir kommen."
Lanas der Rote kannte sich offenbar in Hannai aus, denn am frühen Nachmittag hatten wir die Stadt bereits weit hinter uns gelassen, ohne auf einen der königlichen Wächter gestoßen zu sein, die überall in der Stadt nach mir suchten. Auf unserem Weg zog Lanas seine Laute nach vorne und spielte mit leichter Hand die schönsten Melodien, die ich je gehört hatte. Auch die Laute selbst war eines der schönsten Instrumente, die ich je zu Gesicht bekommen hatte. Wie ihr seht, ist der Schallkasten mit Lilien und Sternblumen eingelegt und um den Hals des Instrumentes windet sich Efeu, so naturgetreu gefertigt, als wären die Pflanzen tatsächlich aus dem Holz hervorgewachsen. Und in Lanas Händen war der Klang der Laute manchmal wie das Rauschen eines leichten Regens oder wie das Flüstern des verwehenden Sandes in der Wüste, manchmal jedoch auch wie ein Sturm oder wie das Brausen des Meeres, wenn die Wellen mächtig gegen die Felsen westlich von Hannai peitschen. Unser Weg über Land war anstrengend, doch er machte mir auch Freude, denn in der Gesellschaft des Spielmannes begann ich, die Ereignisse zu vergessen, die mich aus Hannai fortgeführt hatten.
Ich sprach Lanas gegenüber nie von meiner wahren Vergangenheit. Ich ließ ihn in dem Glauben, daß ich tatsächlich ein Junge sei, und als Lanas mich nach meiner Herkunft fragte, erzählte ich ihm, ich sei der Sohn eines Kaufmannes aus Tetraos, denn ich kannte ein wenig von dieser Stadt, in der eine Schwester meines Vaters wohnte. Ich behauptete, mein Vater hätte mich bei einem Kollegen in Hannai in die Lehre gegeben, da er es nicht für sinnvoll gehalten habe, seinen Sohn selbst auszubilden. Das lange Oshey-Schwert sei ein Abschiedsgeschenk meines Lehrmeisters gewesen.
"Du bist doch kaum den Kinderschuhen entwachsen, bartloser Knirps", sagte Lanas als Antwort auf meine erfundene Geschichte lachend, doch er fragte nicht weiter nach. Statt dessen erzählte er mir, er sei der beste Schüler eines berühmten hannaischen Diebes, der Hemafas heiße und unter den angesehensten Bürgern in der Südstadt lebe, ganz in der Nähe des königlichen Palastes. Dieser Hemafas sei tatsächlich sogar sein Onkel, da er der Bruder oder zumindest Halbbruder von Lanas verstorbener Mutter sei. Über seinen Vater sagte er nur: "Nach allem was ich weiß, könnten wir tatsächlich Brüder sein, Patris."
Nach einigen Tagen der Wanderschaft durch kleine Dörfer und Ortschaften, während der wir stets in den besten Herbergen übernachteten, erreichten wir schließlich Tetraos. Es ist ein buntes Gewimmel von Menschen aus aller Welt, denn hier enden die Karawanenstraßen, die aus dem Süden und Osten durch die Wüste führen, sowie die Bergstraßen aus dem Norden. Nach Westen hin erstreckt sich das endlose Meer und hinter dem Horizont liegen die merkwürdigsten Länder, von denen die Tetrosi die wundersamsten Geschichten zu erzählen wissen, von riesigen Ungeheuern mit hundert Köpfen und von feuerspeienden Drachen.
Der Markt von Tetraos jedoch übertrifft jedes Wunder, von dem die Erzähler berichten könnten, denn hier gibt es die Wunder leibhaftig zu bestaunen und zu kaufen: Tänzerinnen aus dem Fernen Osten sieht man dort, die kleine, leise klingelnde Silberglöckchen an den Hand- und Fußgelenken tragen, Tierbändiger aus dem Norden mit wilden Tieren, die Kunststücke vorführen und Akrobaten aus dem tiefsten Süden von jenseits der Wüste, so dunkel, daß selbst ein Oshey neben ihnen wie der Tag neben der Nacht aussieht. Auch Oshey sah ich auf diesem Markt. Sie verkauften ihre Lederwaren und Schwerter und als ich sie entdeckte, da stieg die Trauer in mir hoch, und ohne daß ich es sofort merkte, liefen mir die Tränen aus den Augen, die ich bei der Nachricht vom Selbstmord meines Vaters nicht geweint hatte.
Als ich spührte, wie die Tränen über meine Wangen rannen, wischte ich sie schnell fort, damit Lanas sie nicht bemerkte, doch er achtete gar nicht auf mich, denn zwischen einem Gewürzstand und dem Stand eines Bauern, der Hühner und Enten verkaufte, bewegte sich zum Schlag zweier Trommeln eine in schimmerndes, blau eingefärbtes Schlangenleder gekleidete Tänzerin. Um ihren Arm wandt sich eine grüngeschuppte Schlange, die immer wieder ihre gespaltene Zunge hervorschnellen ließ und bedrohlich zischte, wenn einer der Zuschauer sich der Tänzerin zu sehr näherte. Da ich mich von meinen trüben Gedanken ablenken wollte, wandte ich mich nun auch der Schlangentänzerin zu, da sah ich aus dem Augenwinkel eine elegante Gestalt an mir vorübergehen, die mir aus dem Hause meines Vaters noch gut in Erinnerung war: der Dieb, der meinen Vater betrogen hatte.
Sofort griff ich nach meinem Schwert und schickte mich an, ihm zu folgen, da hielt Lanas mich plötzlich zurück. Sein ansonsten so gleichbleibend unbekümmertes Lächeln war der Blässe der Angst gewichen, und er zog mich mit sich in die entgegengesetzte Richtung, so daß ich den Dieb im Gewühl der Menschenmenge schnell aus den Augen verlor.
"Was ist?" stellte ich Lanas zornig zur Rede. Denn die Wahrscheinlichkeit, dem Manne, der den Tod meines Vaters zu verantworten hatte, noch einmal zu begegnen, war verschwindend gering.
Lanas aber lächelte schon wieder. "Nichts, gar nichts", versicherte er mir verdächtig schnell und wies auf einen Stand mit Süßwaren hin. "Willst du nicht etwas haben?"
Doch ich lehnte brüsk ab und drehte mich weg von ihm. Ich dachte allen Ernstes daran, Lanas auf dem Markt von Tetraos stehen zu lassen und mir meinen weiteren Weg allein zu suchen. Lanas versuchte, mich zu beschwichtigen. "Da war jemand, dem ich nicht so gerne über den Weg laufen wollte... zwischen ihm und mir ist noch eine... ziemlich große Rechnung offen", gab er dann mit einem schiefen Grinsen und einer bedeutsamen Handbewegung zu. Ich ließ mich von seinem Charme einwickeln und ging weiter mit ihm über den Markt und bestaunte all das, was sich vor uns in farbenprächtigen Wundern entfaltete.
Als der Tag sich zum Abend neigte, erreichten wir schließlich ein prächtiges Gasthaus. Mit stolz gestrafften Schultern und weit ausholenden Schritten, so daß ich ernstlich Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben, betrat Lanas wieder einmal eine Herberge und verlangte das beste Zimmer für sich und seinen kleinen Bruder. Und wieder einmal war der Wirt überzeugt - obwohl wir doch zu Fuß und ohne Dienerschaft reisten -, es mit einer bedeutenden Persönlichkeit zu tun zu haben und er ließ sogleich das beste Zimmer herrichten und ein feudales Abendmahl bereiten.
Als wir nach dem Essen schließlich unser Zimmer betraten und ich mich sofort auf eines der beiden Betten legte, setzte Lanas sich an die Kante meiner Schlafstatt und fragte: "Wollen wir morgen nicht deinen Vater besuchen?"
Ich sah ihn voller Schreck an. Wie sollte ich ihm erklären, daß der einzige Kaufmann in Tetraos, den ich kannte, der Mann meiner Tante war und der gar nicht entzückt darüber sein würde, wenn ich plötzlich bei ihm auftauchte und den Zorn Ashan von Berresh' auf sein Haus zog. Lanas bemerkte meinen Gesichtsausdruck sofort und lachte leise. "Ich habe mir schon lange gedacht, daß du gelogen hast, junger Mann. Deine Geschichte war nicht überzeugend, aber offensichtlich hattest du es eilig, aus Hannai zu verschwinden. Was immer du auch angestellt haben magst, der König schien sehr erbost darüber zu sein und daher muß mehr in dir stecken, als es von außen den Anschein hat." Er streichelte mein kurzgeschnittenes, rot gefärbtes Haar und sah in meine Augen. "Sie sind wie Bernsteine", sagte er leise. "Wie flüssiges Gold, oder die Topase, die die Sonnenkrone der Hohepriesterin Tyrimas schmücken." Er sprach sehr leise, wie zu sich selbst und seine Stimme war wie das Säuseln einer sanften Brise vom Meer her, wie das leise Rauschen eines nächtlichen Regens im heißesten Sommer. Wie eine Verdurstende sog ich den Klang seiner Stimme in mich auf, ohne auf den Sinn der Worte zu achten.
"Wie alt magst du sein?" fuhr er ebenso leise fort. "Ein halbes Kind noch und doch sicher schon so alt wie ich es war, als mein Onkel mich in die Geheimnisse der Liebe einwies... deine Haut ist so weich wie Blütenblätter und deine Lippen sind wie eine Knospe, die eine Blüte verspricht, wie sie nur einmal in hundert Jahren erblüht. Ach, wie oft habe ich mir gewünscht, einmal diese Lippen zu küssen und über diese Haut zu streichen, dieses seidige Haar zu fühlen, wenn du schlafend neben mir lagst, von dem Frieden erfüllt, der den Sterblichen allein im Traum gewährt ist."
Noch bevor ich begriff, was Lanas von mir wollte, hatte er schon seine Lippen auf die meinen gelegt. Sie waren heiß wie glühende Eisen und sanft wie kostbare Seide auf dem meinen und sein Kuß war so süß und so entflammend wie der Wein aus dem Kelch des Ungenannten. Ewigkeiten schienen zu vergehen, die Welt um uns herum verbrannte und entstand aus ihrer Asche neu, da rückte Lanas plötzlich von mir ab und sagte fast vorwurfsvoll: "Aber du bist ja ein Mädchen!" Er sah mich einen Moment prüfend an, während ich zwischen den Gärten der Freude und dem Dämonenreich Chelems schwebte. Schließlich hob er eine seiner eleganten Augenbrauen und flüsterte mir zu: "...und von einer Schönheit, wie sie für gewöhnlich nur den Göttern eigen ist." Und um uns herum versank die Nacht erneut in den Flammen unserer Leidenschaft.
Auf unserem weiteren Weg nach Norden wurde aus dieser Leidenschaft tiefe Liebe, dennoch verriet ich Lanas nichts über meine tatsächliche Herkunft, denn ich wollte unser Glück nicht trüben. Nach einigen Wochen näherten wir uns Letran und als wir die Stadttore endlich erreichten, dämmerte über den Bergen bereits der Abend. Inzwischen glaubte ich Lanas, daß er tatsächlich ein Meisterdieb war, denn ich sah manches Mal, wie er den Wirt mit dessen eigenem Geld bezahlte. Irgendwem hatte er auch den Saphirring gestohlen, den ich hier habe. In einer Nacht steckte er ihn mir auf einen Finger und ich gab ihm dafür einen silbernen Armreifen, den mir mein Vater einst schenkte und den ich trotz meiner Verkleidung zum Jungen behalten hatte. Nahe den Stadttoren fanden wir eine Herberge, in der noch ein angemessenes Zimmer frei war und wir begaben uns zu Bett, denn der Weg war anstrengend gewesen. Wie wir es seit unserer ersten Liebesnacht hielten, spielte Lanas mir ein leises Schlaflied auf seiner Laute, bis der Herr der Träume seinen Mantel über mich gebreitet hatte, dann legte auch er sich zur Ruhe.
Ein leises Geräusch weckte mich. Lange konnte ich noch nicht geschlafen haben, denn der Mond stand noch nicht am Himmel. Ich lag auf der Fensterseite des Bettes und so sah ich, wie eine schlanke Gestalt durch das offene Fenster in den Raum hineinstieg. Ich wollte schon aufspringen und diesen Eindringling mit lautem Geschrei verjagen, da sah ich, daß der Mann ein langes blankes Schwert in der Hand hielt, zur Spitze hin leicht gebogen, wie es die Oshey-Schwerter zu sein pflegen. Ohne zu zögern ging der Eindringling auf das Bett zu, stellte sich auf Lanas' Seite an das Fußende und stieß einen leisen melodischen Pfiff aus.
Lanas fuhr aus dem Schlaf hoch, erblickte die Gestalt, die am Ende unseres Bettes stand und brachte erschrocken ein halbersticktes "Chelem! Du!" hervor.
"Ja, ich, dein lieber Onkel", erwiderte darauf der Mann mit leiser Stimme und ich erkannte den Mann, den mein Vater in Hannai mit dem Diebstahl des Edelsteins aus dem Zepter des Königs beauftragt hatte. Die Augen fest auf den Eindringling gerichtet, der meinen Vater betrogen und seinen Tod verschuldet hatte, tastete ich lautlos nach meinem Schwert.
"Wo ist der Stein", fragte der Mann inzwischen.
"Was für ein Stein, Hemafas", fragte Lanas mit erzwungener Heiterkeit.
"Mein lieber Schwestersohn, ich meine den Edelstein aus dem Zepter des hannaischen Königs", erklärte Hemafas mit trügerisch sanfter Stimme und plötzlich blitzte sein scharfes Schwert in voller Länge auf.
Ich hörte, wie Lanas schwer schluckte, dann sagte er: "Ich weiß nichts von diesem Edelstein, Hemafas."
So schnell, daß ich der Bewegung mit meinen Augen kaum folgen konnte, stand Hemafas plötzlich neben Lanas und die Spitze seines Schwertes ruhte auf der Brust seines Neffen.
"Er... er ist in meinen Beutel eingenäht... in den Boden", sagte Lanas angsterfüllt, aber Hemafas machte keine Anstalten, nach Lanas Beutel zu greifen, der neben ihm auf dem Boden lag. "Ich hatte dir befohlen, ihn mir sofort zu bringen. Deinetwegen wurde ein Vertrag gebrochen." Hemafas Stimme war kalt wie Eis geworden und Lanas stöhnte leise auf, als die Spitze des langen Schwertes seine Brust ritzte.
Das Gehörte hatte mich erstarren lassen. Wie gelähmt lag ich da, das Heft meines Schwertes spührte ich unter meinen Fingerkuppen, und mit einer einzigen Bewegung hätte ich Hemafas durchboren oder ihm doch zumindest das Schwert aus der Hand schlagen können, aber ich tat nichts.
"Du weißt, was mit denen passiert, die einen Vertrag brechen", bemerkte Hemafas fast beiläufig und Lanas bejate mit erstickter Stimme. "Gib mir den Stein", befahl Hemafas nun und Lanas tastete neben dem Bett nach dem Beutel. Noch immer die Schwertspitze auf der Brust, suchte er mit zitternder Hand im Inneren des Beutels und hielt Hemafas schließlich einen fast faustgroßen glitzernden Stein entgegen.
Mit einer kraftvollen Bewegung durchbohrte Hemafas die Brust seines Neffen mit dem langen Schwert und aus Lanas' erschlaffender Hand nahm er den Edelstein. Zwei Augenblicke später hatte er das Zimmer schon wieder durch das Fenster verlassen und ich hatte nichts getan, um meinem Geliebten zu helfen. Erst als Hemafas verschwunden war, brach der Bann, der mich an das Bett gefesselt hatte und ich drehte mich zu Lanas, in der Hoffnung, irgendetwas für ihn tun zu können, aber der Blick seiner Augen war bereits gebrochen und nie wieder würden seine flinken Finger in die Taschen fremder Leute gleiten, über die Saiten seiner Laute oder über meinen Körper.
Ohne recht nachzudenken, nahm ich Lanas Beutel und seine Laute und ich nahm auch sein Schwert mit, denn ich war gewiß, von seinem Samen empfangen zu haben und ich wollte für mein Kind ein Andenken an seinen Vater haben. Dann floh ich aus der Herberge durch die unbekannten Straßen des nächtlichen Letran und schließlich endete mein Weg vor eurer Tür." Patrais Tashrany verstummte und ihr Blick zeigte, daß ihre Gedanken bei ihren Erinnerungen weilten.
Nachdem ich diese Geschichte gehört hatte, verstand ich, warum das junge Mädchen so verstört gewesen war, und ich ließ sie allein, damit sie die nötige Ruhe hatte, mit ihrer Vergangenheit Frieden zu schließen.
Einige Tage später ging es ihr schon viel besser, aber sie bat mich, bei mir bleiben zu können, bis das Kind geboren war. Sie verstand genug von Kräutern und dem Herstellen von Arzneien und Tinkturen, um mir zur Hand gehen zu können und so verging die Zeit. Patrais Tashrany wurde meine gelehrige Schülerin und sie begann, mich Tante zu nennen. Abends spielte sie oft auf der Laute ihres Geliebten, traurige Lieder, doch allmählich wurden sie lebhafter und bald übte sie im Garten meines Hauses mit ihrem langen Schwert, obwohl ihr Leib sich von dem Kind, das in ihr wuchs, rundete.
Als ihre Zeit gekommen war, gebar Patrais Tashrany einen Sohn, der ihre bernsteinfarbenen Augen hatte, doch schwarzes Haar und dunkle Haut, ganz in der Art der Oshey, wie sie mir versicherte, und sie gab dem Kind den Namen Hermil, nach einem berühmten Fürsten ihres Stammes.
Wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes sagte Patrais eines Tages: "Es wird Zeit, daß ich mich wieder auf die Suche nach meiner Mutter mache, Tante. Ich werde versuchen, mein Kind zu den Zelten seines Stammes zu senden, in seine wahre Heimat. Bis die Zeit reif ist, muß Hermil das lernen, was sich für einen Oshey geziemt und wo könnte er das besser lernen, als in den Zelten der Tashrany. Ich weiß nicht, ob ich dich jemals wiedersehen werde, Tante, aber ich werde alles versuchen, dir über meinen Sohn und mich Nachricht zukommen zu lassen." Und am nächsten Tag verließ Patrais Tashrany mein Haus, und ich sah sie nie wieder."
"Doch wie kamst du dazu, mich nach dieser Frau zu nennen?" fragte ich meine Mutter ungeduldig, denn sie schien ihre Geschichte beendet zu haben und meine Neugierde war noch keineswegs gestillt.
Meine Mutter lächelte daraufhin versonnen. "Vor deiner Geburt geschah etwas Seltsames, vielleicht war es eine Botschaft von Patrais Tashrany, das ist:
*
DIE GESCHICHTE VOM WEISSEN FALKEN.
Etwa ein Jahr nachdem Patrais Tashrany mit ihrem Sohn Hermil mein Haus verlassen hatte, flog eines abends ein weißer Falke durch das offene Fenster und setzte sich vor mir auf die Lehne des Stuhles, auf dem Patrais Tashrany oft gesessen und auf ihrer Laute gespielt hatte. Sein Gefieder war strahlend und makellos und seine Augen erinnerten mich an die Augen von Patrais und ihrem Sohn. An einem seiner Fänge trug er jedoch ein kleines Lederbeutelchen, so dachte ich, das Tier wäre wohl seinem wohlhabenden Besitzer entflogen. Doch da tat der Vogel den Schnabel auf und sprach in Menschensprache zu mir, da wußte ich, daß dieser Falke ein Bote der Götter war. Und was der Falke sagte, war dies:
"Du wirst eine Tochter bekommen. Nenne sie Patrais und eines Tages wird sie ihrer Schönheit wegen die Frau eines Königs werden. Gib ihr den Inhalt dieses Beutels, wenn es soweit ist. Sie soll ihn gut hüten, denn einmal wird der Tag kommen, an dem sie ihn weitergeben muß, um das Schicksal eines Königreiches zu erfüllen." Da ließ der Falke den Lederbeutel behutsam fallen und flog wieder zum Fenster hinaus. Als ich den Beutel öffnete, fand ich darin einen blauen Stein mit gezackter Bruchkannte, es handelte sich um die Hälfte jenes rundgeschliffenen Sternsaphirs, den Patrais Tashrany in ihrem Ring getragen hatte."
Meine Mutter zeigte mir den Stein, um ihre Geschichte zu beweisen und sie gab ihn mir, als mich die Diener Nisan des Prächtigen nach Hannai brachten, damit ich die siebte Frau des Königs würde, denn tatsächlich war der Ruhm meiner Schönheit bis an den Rand der Wüste nach Süden gedrungen."
Patrais von Letran, die siebte Frau des Nisan von Berresh, senkte den verschleierten Kopf und schwieg eine Weile, dann erhob sie sich und sah hinaus in die beginnende Dunkelheit, in der die weißen Pfauen um den Brunnen wie Lichter leuchteten. "Es ist schon spät", sagte sie dann leise. "Kommt jetzt. Ich habe versprochen, euch einen sicheren Weg aus dem Palast zu zeigen, Hermil Tashrany."
Die Frau des Königs erhob sich und ging zu der Tür hinter dem goldbestickten, durchscheinenden Vorhang, doch sie öffnete nicht diese Tür, sondern ihre Hände tasteten die Fugen der Steinwand entlang, es klickte gedämpft und plötzlich glitt lautlos ein Stück der scheinbar massiven Mauer beiseite, hinter der sich ein dunkler schmaler Gang erstreckte. In einer Mauernische stand eine Öllampe und Zündzeug bereit. Mit geschickten Fingern entzündete Patrais von Letran die Lampe und ging in die Dunkelheit des Ganges hinein. Hermil Tashrany folgte ihrer Silhouette, die durch das Lampenlicht, das durch ihren silberdurchwirkten Schleier schien, wie in rotgoldenen Nebel gehüllt war.
Mit sicherem Schritt ging die Frau voran und führte Hermil Tashrany durch schmale, winkelige Gänge, treppab und treppauf, vorbei an weiteren Tunneln die sich gelegentlich nach rechts und links erstreckten. "Ihr habt eine schicksalsträchtige Vergangenheit, Hermil Tashrany", sagte die Frau des Königs mit gedämpfter Stimme ohne sich umzudrehen. "Glaubt ihr nicht auch, daß ihr dieser Vergangenheit etwas schuldig seid?" Hermil Tashrany wußte nichts darauf zu antworten.
Plötzlich blieb Patrais von Letran stehen. An der Wand des Ganges war ein großer verrosteter Ring angebracht. Sie drehte ihn mehrere Male und zog dann einen Teil der Mauer wie eine Tür auf. "Schaut", sagte sie zu Hermil Tashrany und breitete mit einer Handbewegung ein glitzerndes und funkelndes Wunder vor Hermil Tashrany aus. "Dies ist die Schatzkammer des Königs. Schon lange befindet sich der Edelstein, den euer Großvater hatte stehlen lassen, wieder an seinem angestammten Platz, im Königszepter von Hannai. Nehmt ihn als euer rechtmäßiges Erbe, denn im Kampf um den Goldenen Thron werdet ihr die Hilfe der Götter brauchen."
Verwundert sah Hermil Tashrany die Frau an, ihr Gesicht war hinter dem Schleier nur als Schemen zu erahnen, und die im Lampenlicht funkelnden silbernen Blüten mit denen der Schleier bestickt war, blendeten ihn. "Aber ich kenne die geheimen Worte nicht", sagte er abwehrend.
Aber die Frau des Königs ging schon in die Schatzkammer. "Ihr werdet sie sicherlich erfahren", versprach sie ihm. "Die Zeit für einen erneuten Machtwechsel ist günstig, Hermil Tashrany. Der König ist krank und er hat keinen Sohn. Seht nur die Schätze, die Nisan der Prächtige angehäuft hat, bezahlt mit dem Blut seiner Untertanen. Den Großenkel Kermul des Gerechten wird man in Hannai mit Freuden willkommen heißen."
"Aber..." begann Hermil wieder und gegen seinen Willen hatte er schon einen Schritt hinein in die Schatzkammer getan, damit sein Flüstern die Ohren seiner Führerin erreichte.
Patrais von Letran drehte sich zu ihm um. "Kein aber!" sagte sie bestimmt. "Der Goldene Thron gehört euch, daran kann kein Zweifel bestehen. Nehmt den Edelstein aus dem Zepter und...", mit der freien Hand zog die Frau des Königs ein ledernes Beutelchen aus den Falten ihres Gewandes hervor, "nehmt das. Der fehlende Teil des Sternsaphirs aus eurem Ring. Ohne Zweifel steht auch er euch zu."
Einen Dank murmelnd nahm Hermil Tashrany das Lederbeutelchen entgegen und steckte es in seinen Gürtel. Doch das hannaische Königszepter, das zwischen ihm und Patrais von Letran auf ein seidenes Kissen gebettet auf einem Tisch lag, sah er nur mit gemischten Gefühlen an. Der im leicht flackernden Lampenlicht blitzende rote Edelstein war mit dünnen Golddrähten an der Spitze des etwa ellenlangen goldenen Stabes befestigt, um den sich juwelen- und perlengeschmückte Bänder wanden. Sicher ließ sich das Herz Hannais leicht aus seiner einfachen Fassung lösen.
"Nehmt ihn", drängte die Frau des Königs Hermil, der schließlich zugriff und den faustgroßen Edelstein aus den Drahtschlaufen drehte. Hermil war erstaunt, wie schnell es dieser Frau gelungen war, seine Skrupel bezüglich des Diebstahls so gründlich einzuschläfern, denn bevor er es recht merkte, hatte er den Stein schon sicher in seinem Gürtel verwahrt und ging hinter Patrais von Letran durch den Geheimgang, und die wieder sorgfältig verschlossene Tür zur Schatzkammer lag bereits einige Meter hinter ihnen.
Nach einiger Zeit Weges durch die schmalen, bisweilen niedrigen Gänge, den sie schweigend zurücklegten, hielt Patrais von Letran schließlich wieder an. Mit ihrer freien Hand tastete sie die Wand entlang und wieder ertönte ein gedämpftes Klicken. Durch die Öffnung sah Hermil Tashrany die Sterne am nächtlichen Himmel. "Dieser Ausgang befindet sich außerhalb der Palastmauern. Wir stehen im Sockel des Tempels des Ungenannten", erklärte die Frau des Königs, dann sah sie in den Nachthimmel und das Licht des Mondes verzauberte ihr verschleiertes Gesicht für einen Moment zu dem von einem rosenfarbenen Halo umgebenen Antlitz einer Unirdischen. "Erfüllt euer Schicksal gut, Hermil Tashrany", ermahnte sie ihn mit leiser Stimme. "Dann kehrt hierher zurück, denn die Prinzessin Sira wird euch wohl voller Ungeduld erwarten." Ohne weitere Worte des Abschieds trat Patrais von Letran in den Geheimgang zurück und verschloß die Tür.
"Ich danke euch, hohe Dame", sagte Hermil Tashrany, aber er sprach bereits zu einer scheinbar massiven Marmormauer.
* * *
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zuletzt geändert am 29.12.2011.