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Prolog | (23 KB) |
Wie ein verlorener Prinz gefunden wird | (145 KB) |
Wie der Goldene Thron gewonnen wurde | (31 KB) |
Epilog | (26 KB) |
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"Zum Osttor", wies Patrais die Sänftenträger an, da rief eine Frauenstimme. "Wartet, Herrin. Ich bringe euch noch ein Abschiedsgeschenk des Königs."
Patrais zog den hellgelben Seidenvorhang ein Stück zur Seite und sah hinaus in den Hof. Eine Dienerin hielt eine wohlgeformte Laute in den Händen, nach der aus dem Norden stammenden Mode weiß lackiert und mit Blüten und Vögeln aller Art bemalt.
Die Dienerin reichte Patrais die Laute in die Sänfte. "Und ihr habt eure Laute vergessen", sagte sie fast ein wenig vorwurfsvoll. "Ich weiß doch wie gerne ihr spielt." Dann zog das Mädchen einen breiten Goldring aus ihrem Gewand, in den ein großer, rundgeschliffener Sternsaphir gefaßt war. "Dies schickt euch der König mit den Worten: Als Dank für eine Hälfte das Ganze."
Patrais strich mit einer Hand über den Hals der Laute und nahm mit der anderen den Ring entgegen. "Bestellt ihm meinen herzlichen Dank. Ich wünsche den Segen der Götter auf ihn und die Seinen." Dann zog sie den Vorhang der Sänfte wieder zu. "Auf zum Nordtor", befahl sie erneut und diesmal wurde die Sänfte mit einem leichten Ruck angehoben und sanft schaukelnd bewegte sie sich vorwärts.
Patrais steckte den zu großen Ring mit einer nach alter Gewohnheit aussehenden Bewegung auf den Daumen ihrer Rechten und streichelte geistesabwesend den makellosen dunkelblauen Stein, in dessen Tiefe, wie eine Blüte aus Mondlicht, der sechsstrahlige Stern schwebte. Dann schlug sie den Schleier über den Kopf zurück und nahm die Laute zur Hand, um leise zu spielen. Am Hals war der Lack schon fast bis zur Durchsichtigkeit abgegriffen und wie hinter einem Schleier wurden dunkel eingelegte Intarsien sichtbar, eine Efeuranke, die sich bis zu den Wirbeln um den Hals der Laute wand. "Oh, Lanas", flüsterte Patrais und in ihren bernsteinfarbenen Augen schwammen die Tränen.
Plötzlich krachte es laut und durch das dünne Holzdach der Sänfte fiel ein langer, schmaler Gegenstand, eine schwarz lackierte, unverzierte Holzscheide, in der ein Oshey-Schwert steckte. Den Schwertknauf zierte eine kleine, schwarzgrundige Gemme, die einen auffliegenden Falken zeigte.
Die Sänfte war abrupt zum Stillstand gekommen, sie wurde abgesetzt und einer der Träger fragte besorgt: "Herrin, ich hoffe, Euch ist nichts passiert."
Patrais verschleierte sich und zog den Vorhang eine Handbreit beiseite. Sie sah hinaus und in das bestürzte Gesicht des Trägers. "Nein, mir ist nichts passiert. Aber wie kommt dieses Schwert hierher?"
"Nun, Herrin..." begann der Träger ratlos, da schob ihn ein großer, sehr vornehm aussehender Mann mittleren Alters beiseite. "Ihr müßt verzeihen, hohe Dame, ein schreckliches Mißgeschick. Das Schwert gehört mir, ich ließ es mir von meinem Diener vom Dach herunterwerfen, aber er zielte so unglücklich... ich bin untröstlich, hohe Dame. Selbstverständlich komme ich für die Reparatur der Sänfte auf, doch ich weiß nicht, wie ich den Schrecken, den ihr erlitten haben müßt, wieder gutmachen kann." Der Mann lächelte gewinnend und seine scharf gezeichneten Augenbrauen entfalteten sich wie die Schwingen eines Raubvogels über seinen schwarzen Augen.
"Allein meine Sänfte hat Schaden erlitten", sagte Patrais leise und schien den Mann durch ihren Schleier hindurch aufmerksam zu mustern. "Sorgt für die Reparatur, so will ich gerne den Schrecken vergessen."
"Gewiß, hohe Dame", erwiderte der Mann sofort. "Und tut ihr mir die Güte an, solange meine Gastfreundschaft anzunehmen. Mein Name ist Hemafas aus Menrish und mein Haus steht ganz zu eurer Verfügung." Der Mann verbeugte sich mit einer eleganten, fließenden Bewegung und reichte Patrais den Arm, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.
Etwas zögernd nahm Patrais die Hilfe an und stieg aus. Noch immer hatten sie die Südstadt nicht hinter sich gelassen, auf den steinernen Straßen schimmerte der Goldstaub im Licht der schon dem Horizont zustrebenden Sonne und die Mauern der Häuser waren mit farbenfrohen Blütengirlanden behängt. "Ich bin Patrais von Letran", sagte Patrais und neigte leicht ihren Kopf. "Es ist mir eine Ehre, eure Gastfreundschaft annehmen zu können." Dann drehte sie sich um zu ihrer Sänfte, um das fremde Schwert herauszuholen. Noch einmal besah sie sich den Schwertknauf. "Der auffliegende Falke... ein ungewöhnliches Wappen für einen Städter", sagte sie dann und reichte das Schwert seinem Besitzer.
Hemafas aus Menrish lächelte. "Aber es ist ein sehr edles. Auch unser König trägt dieses Wappen. Heute hat er geheiratet, hohe Dame, ja vielleicht wart ihr selbst bei der Feier zugegen." Seinen fragenden Blick ignorierte Patrais. So bot Hemafas aus Menrish seinem Gast erneut den Arm, um sie durch ein prachtvolles Holztor in sein Haus und einen verschwenderisch begrünten Innenhof mit einem plätschernden Brunnen zu führen. "In Kürze wird eure Sänfte repariert sein, hohe Dame", versicherte Hemafas aus Menrish, dirigierte mit knappen Handbewegungen die Dienstboten, die Patrais' Gepäck brachten, hierhin und dorthin und nahm dem Sänftenträger, der die weißlackierte Laute hielt, das Instrument ab und legte es neben dem Divan, zu dem er Patrais geführt hatte, auf einen niedrigen Tisch.
Hemafas aus Menrish klatschte in die Hände und gleich kamen drei Dienerinnen, eine mit einer Messingschüssel voll Wasser, die zweite mit einem kostbaren Damasttuch zum Abtrocknen der Hände und die dritte mit dem Tee, um die Gastfreundschaft zu besiegeln. Weitere Erfrischungen wurden rund um die Laute auf dem kleinen Tisch abgesetzt und schließlich setzte Hemafas aus Menrish sich an das andere Ende des Divan.
"Ich hoffe, die Früchte munden euch, hohe Dame. Sie stammen aus dem fernen Süden, von jenseits der Wüste." Hemafas beugte sich vor, um die Laute vom Tisch aufzunehmen und so für eine weitere Schale mit Süßigkeiten Platz zu machen. Wie zufällig strich er dabei mit dem Daumen über die Saiten, lauschte auf den Klang und betrachtete das gemalte Blumenmuster.
Patrais musterte aufmerksam das Profil ihres Gastgebers und fand in seinem Gesicht deutlich den Oshey-Erbteil, tatsächlich schien es ihr fast, als säße der junge König neben ihr, älter und vom Leben gezeichnet. "Gehören die Tashrany zu euren Ahnen, Hemafas aus Menrish, daß ihr ihr Wappen an eurem Schwert tragt?" fragte sie beiläufig, während sie unter dem dichten weißen Seidenschleier an ihrem Tee nippte.
Der vornehme Mann lächelte breit. "Nun, das ist durchaus möglich. Über meine Ahnen weiß ich nicht viel. Doch unter meinen Nachkommen ist ein Tashrany, das weiß ich bestimmt."
Patrais stellte die Teeschale ab und sah für einen Moment versonnen hinüber zu dem nun im Zwielicht der Öllampen glitzernden Springbrunnen. Auch um den Divan waren Lampen aufgestellt worden und ihr Schein spiegelte sich in den schwarzen Augen ihres Gastgebers. "Auch zu meinen Nachkommen gehört ein Tashrany", sagte sie sehr leise, "doch ich glaube kaum, das es jemand weiß."
Hemafas aus Menrish schien sie nicht gehört zu haben, spielte eine kurze Melodienfolge auf der Laute, die er bewundert hatte und legte sie dann zwischen sich und Patrais auf den Divan. Doch dann sagte er, fast ebenso leise: "Ihr scheint mir zu jung, um bereits eigene Nachkommen zu haben... aber sagen nicht die Priester des Ungenannten, daß von allen Seinen Geschöpfen allein die Unirdischen alterslos sind? Denn während die Menschen unvollkommen sind und daher vergänglich, sind die Unirdischen so rein, daß sie den Anblick des Ungenannten ertragen und ihm ewig dienen. Und während die Menschen ihr ganzes Leben lang den Trugbildern Chelems und den Angiffen seiner Dämonen ausgesetzt sind, wohnen die Unirdischen in den Gärten der Freude, dem Ort, an dem der Friede herrscht, nach dem die Menschen ihr Leben lang suchen und der ihnen doch nur im Traum gewährt wird, wenn Orem mit ihnen Mitleid hat." Fast schien es, als habe Hemafas aus Menrish in frommer Einfalt die Sprüche der Priester wiederholt, doch sein in sich gekehrter Blick ließ vermuten, daß schwere Erinnerungen ihn heimsuchten.
"Ja, so sagen die Diener des Ungenannten", sagte Patrais im Gesprächston. "Und sie versprechen jenen, die sich an die Gebote der Götter halten, die Gärten der Freude für ihr jenseitiges Leben."
Hemafas aus Menrish sah seinen Gast nun wieder direkt an. "Darf ich euch eine Geschichte erzählen, hohe Frau? So kann ich euch die Zeit vertreiben, die es braucht eure Sänfte zu reparieren." Als Patrais zustimmend den Kopf neigte, begann er:
*
"DIE GESCHICHTE VON HEMAFAS AUS MENRISH.
Ich bin der Sohn einer armen Frau aus der Weststadt. Sie gab sich für Geld den Händlern und Karawanenwächtern hin, die durch die Stadt kamen und einer von denen ist wohl mein Vater. Als ich einige Jahre alt war, gebar meine Mutter noch eine Tochter, die schon als Kind über alle Maßen schön war und ich schwor mir, ihr das Schicksal meiner Mutter zu ersparen. Ich versprach ihr, sie in Seide zu kleiden und ihr goldbestickte Sandalen zu kaufen, wie die vornehmen Damen der Südstadt sie tragen und ich träumte von einem Haus, prächtig wie der Palast des Königs, mit Brunnen aus purem Gold und einem Harem voller exotischer Schönheiten. So begann ich um dieses Zieles willen, die reichen Leute, die sich in die Weststadt verirrten, zu bestehlen. Ich war sehr geschickt darin, Ringe und Ohrgeschmeide an mich zu bringen und so konnte ich meiner Schwester schließlich einen langen, golddurchwirkten Schleier kaufen, der einer Prinzessin würdig gewesen wäre.
Als ich gerade herangewachsen war, kam ein eleganter, reich gekleideter Mann zu meiner Mutter und sagte: "Höre, Frau, ich komme aus Menrish hierher und bemerke, mit welcher Kunstfertigkeit dein Sohn die Leute bestiehlt. Ich bin ein Meisterdieb und Fürst der Diebe von Menrish und wie ich einst von meinem Meister unterrichtet wurde, will ich deinen Sohn zu mir holen und ihn alles lehren, was ich gelernt habe, denn ich sehe, daß er selbst das Zeug zu einem Meister der Diebeskunst hat." Meine Mutter willigte ein, denn der Meisterdieb benahm sich wie ein hoher Herr und das beeindruckte sie sehr.
So ging ich mit dem Meisterdieb nach Menrish und er lehrte mich alles, was ein Dieb nur wissen muß. Fast konnte ich - wie man so sagt - einem reitenden Krieger das Pferd stehlen. Doch mein Meister brachte mir auch die vornehmen Umgangsformen bei und die Tischmanieren und er lehrte mich die Gebote der Götter und Lesen und Schreiben.
Nach vielen Jahren endlich sagte er: "Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich dich wieder nach Hannai zurückschicke, denn du hast alles gelernt, was ich dich lehren kann. Zwei Ratschläge, die ich von meinem Meister erhielt und die sich für mich als wertvoll erwiesen, will ich dir jedoch noch auf den Weg geben: Stelle dich gut mit den Höchsten, denn sie sind es, die unserer Künste am meisten bedürfen. Einen Reichen verlangt es nach immer mehr Reichtümern und oft genug sind allein wir imstande, ihnen dazu zu verhelfen. Mein zweiter Ratschlag aber ist: Halte alle deine Versprechen stets ein, wem du sie auch gegeben hast, denn Damor, der seine Hand über die Diebe hält, ist doch nicht mit den Ehrlosen." Und so kehrte ich in prächtigen Seidengewändern und mit goldenen Ringen an den Fingern auf einem stolzen Rappen zurück nach Hannai.
Als ich nun gegen Abend das Nordtor der Stadt ereichte, das auch das Tor der Tränen genannt wird seit den vielen Feldzügen, die Resan der Eroberer in den Norden unternahm, eilte ich durch die Straßen zur Weststadt, um nach so vielen Jahren meine Mutter und meine Schwester endlich wiederzusehen. Doch auf dem Weg rief mich an einer Straßenecke eine Frau an: "Habt ihr nicht ein wenig Geld für mich, damit ich mir zu Essen kaufen kann, hoher Herr?"
Im schwindenen Tageslicht sah ich, daß die Frau jung und sehr schön war, aber in Lumpen gekleidet und ausgezehrt vom Hunger. Mitleid überkam mich, denn solches Elend hatte ich nicht einmal während meiner Kinderzeit erdulden müssen. So führte ich sie in eine Herberge und bestellte uns zu Essen. Ich war nicht sehr hungrig, sie jedoch aß, als hätte sie niemals zuvor gegessen und sie bemerkte nicht, daß ich sie betrachtete. Das Lampenlicht zauberte blauen Schimmer auf ihr schwarzes Haar und auch ihre Augen waren schwarz wie die Nacht, ihr Gesicht aber war hell wie der Mond und ihre Haut wie Seide. Mit jedem Bissen erholte sie sich zusehens und als ich sie ansah, entflammte ihr Anblick meine Leidenschaft. Und als ihre Augen die meinen trafen, da las ich in ihnen, was sie in meinen sah und in dieser Nacht lag ich bei ihr.
Am Morgen jedoch sagte ich: "Erlaube mir, dich in erlesene Stoffe zu kleiden und dich mit Edelsteinen und Gold zu überhäufen, damit du niemals mehr Hunger erleiden mußt. Ich werde Dich zur Frau nehmen und dir einen Palast bauen, neben dem selbst der Palast des Königs ärmlich wirkt." Und wir scherzten und lachten, doch dann sagte sie: "Wie kann nur ein hoher Herr wie ihr es seid, solchen Spott mit mir treiben."
Ich aber beteuerte meine Ehrenhaftigkeit und ich versprach ihren Eltern kostbare Hochzeitsgeschenke und ihr eine Morgengabe, die einer Königin würdig gewesen wäre. Aber sie antwortete mir: "Meinen Vater kenne ich nicht und meine Mutter starb vor einem Jahr. Allein einen älteren Bruder habe ich, doch viele Jahre habe ich nichts von ihm gehört, denn er zog in die Fremde und vielleicht ist auch er schon tot."
Ich bedauerte sie aufrichtig. Aber dann wurden wir wieder fröhlich und ich ließ einen Schneider für sie kommen und Seidenhändler und ich kaufte eine Sklavin als Dienerin für sie. Dann jedoch ließ ich meine Geliebte in der Herberge zurück und ritt in die Weststadt, denn ich wollte meine Mutter und meine Schwester besuchen, ihnen sagen, daß ich nun reich war und daß ich eine Frau gefunden hatte, die ihnen eine gute Tochter und Schwester sein würde. Aber als ich das Haus in der Weststadt erreichte, in der meine Mutter mit ihren Kindern von jeher gelebt hatte, fand ich es verkommen und verlassen und als ich die Nachbarn nach meiner Mutter und meiner Schwester fragte, da sagten sie: "Deine Mutter ist schon lange gestorben und deine Schwester ist fortgegangen, wahrscheinlich ist auch sie längst tot." Ich trauerte um meine Familie, doch dann kehrte ich zu meiner Geliebten in die Herberge zurück.
Wenig später machte ich meine Geliebte vor den Göttern zu meiner Frau und ich kaufte ein Haus in der Südstadt für uns, dieses, in dem wir hier sitzen, hohe Dame. Ich kleidete meine Frau in Seide und schenkte ihr goldbestickte Sandalen, ganz so, wie ich es einst meiner schönen Schwester versprochen hatte.
Eines Tages nun offenbarte meine Frau mir, daß sie von meinem Samen empfangen hatte und als ihre Zeit gekommen war, gebar sie mir einen gesunden und kräftigen Sohn. Sie jedoch siechte dahin und keine der Kräuterfrauen und Heilerinnen vermochte zu sagen, was ihr fehlte. Ich ließ Ärzte aus dem Süden kommen, doch auch sie konnten nicht helfen und so schickte ich nach einem Priester des Ungenannten und er kam an das Krankenlager meiner Frau und sprach lange mit ihr.
Schließlich kam er zu mir und sagte: "Deine Frau hat große Schuld auf sich geladen, daher strafen die Götter sie mit dieser Krankheit." Doch ich wußte, daß sie alle Gebote der Götter einhielt und das keine Frau je zärtlicher und aufrichtiger zu ihrem Mann gewesen war, als sie zu mir. "Welche Schuld kann sie auf sich geladen haben?" fragte ich darum, denn mir schien, daß nur ein böser Fluch Chelems auf meiner Frau ruhen konnte.
Der Priester des Ungenannten aber sagte: "Sie war nicht aufrichtig zu dir, als du sie zu deinem Weibe wähltest, denn sie erkannte dich als ihren Bruder als sie dich das erste Mal sah und sagte es dir nicht. So lagst du bei deiner leiblichen Schwester und zeugtest einen Sohn mit ihr."
Da fiel ich vor dem Priester des Ungenannten auf die Knie und weinte bittere Tränen, denn ich verstand nun, warum ich diese Frau vom ersten Augenblick an geliebt hatte. Sie war mir vertraut seit meiner Kindheit, doch die Dämonen Chelems hatten mich geblendet, so daß ich sie nicht als meine Schwester erkannt hatte. Und ich flehte den heiligen Mann an, mir zu sagen, wie ich diese Schuld nur tilgen könne. Und der Priester des Ungenannten erwiderte: "Deine Schwester büßt ihre Schuld durch ihren Tod, denn niemand kann ihr mehr helfen. Du jedoch mußt deinem Sohn deine Vaterschaft auf immer verleugnen, denn niemals darf dieser Knabe von der Schande seiner Herkunft erfahren. Erziehe ihn als den Sohn deiner Schwester, als deinen Neffen." Schweren Herzens folgte ich dem Gebot des Priesters und ich opferte den Göttern und flehte um ihren Segen für meinen Sohn, den ich meinen Neffen nannte.
Mit den Jahren wuchs mein Sohn heran und ich knüpfte viele Kontakte zu den einflußreichen Persönlichkeiten bei Hofe und machte mich in der Südstadt als geschickt und ehrenhaft bekannt. Da ich viele Aufträge bekam, vermehrte sich mein Reichtum rasch, mein Sohn jedoch bat mich, ihn in meiner Kunst auszubilden und so wurde er mir ein gelehriger Schüler. Als er zum Jüngling heranreifte, wurde er immer mehr seiner Mutter, meiner geliebten Schwester ähnlich und ich liebte ihn, wie ich sie geliebt hatte, doch ich durfte ihm nicht offenbaren, daß ich sein Vater war.
Trotzdem lastete der Fluch der Dämonen weiter auf mir und den Meinen. Lange war mir mein Sohn ein treuer und zuverlässiger Gehilfe gewesen, doch eines Tages kehrte er von der Durchführung eines wichtigen Auftrages nicht zurück. Den Edelstein, den er für einen Mann vom Hofe hatte stehlen sollen, nahm er an sich und verließ die Stadt, anstatt ihn mir zu übergeben. Seine Verfehlung brachte sogar den Tod über meinen Auftraggeber und so machte ich mich auf die Suche nach meinem Sohn, denn diese Schuld mußte er tragen.
Es fiel mir leicht, ihn aufzuspühren, denn er hatte kaum Mühe aufgewand, sich zu verbergen, obwohl er wissen mußte, was ihm von mir drohte. Und endlich stand ich an seinem Nachtlager, nahm den Stein, um ihn zurück nach Hannai zu bringen, und tötete meinen Sohn mit eigener Hand. Doch als ich mein Schwert durch seine Brust bohrte, da sah ich auf dem Bett neben seinem toten Körper einen weißen Falken mit blitzenden bernsteinfarbenen Augen sitzen und der erhob die Stimme und sprach: "Dieser Mann ist der Vater eines zukünftigen Königs. Wenn dieser König einst seinen Thron eingenommen und sich eine Königin erwählt hat, wird man dieses Leben von dir zurückfordern."
Als ich den Boten des Ungenannten dort auf dem Bett sitzen sah, durchfuhr mich eisige Furcht und ich floh mit dem Edelstein zurück nach Hannai. Ich übergab ihn seinem früheren Besitzer und wurde reich dafür belohnt und seit dem lebe ich in Luxus und unbeschwert, doch so manche Nacht weine ich um meinen Sohn, dem ein Dämon Chelems eingeflüstert hatte, den Stein zu behalten.
Heute nun wurde die Hochzeit unseres neuen Königs gefeiert und als ich ihn mit dem Hochzeitszug durch die Straßen reiten sah, zerriß es mir fast das Herz, denn es schien mir, als sei mein Sohn von den Toten zurückgekehrt. Ich weiß, dies ist der König, den mein Sohn zeugte und jener Falke auf meinem Schwert führte mich zu euch, hohe Frau, an diesem Tag, der mein Schicksal entscheidet. Ich bin sicher, daß ihr jenes Leben von mir fordern werdet, Patrais von Letran, denn ihr kanntet wohl meinen Sohn, da ihr seine Laute besitzt... auch wenn sie bemalt wurde, so erkenne ich sie doch wieder, denn ich ließ sie einst für meine Frau anfertigen." Hemafas aus Menrish sah seinen schweigenden Gast forschend an und versuchte zu ergründen, was hinter dem für ihn undurchdringlichen Schleier aus kostbarer Seide vor sich ging.
Schließlich senkte Patrais ihren Kopf und sagte mit gedämpfter Stimme: "Vielleicht wollte ich ein Leben von euch fordern, Hemafas aus Menrish, Vater meines Geliebten. Doch in mir ist kein Zorn mehr über jene Tat, die mir so schrecklich erschien, als sie geschah. Doch ihr sollt meinen wahren Namen erfahren: Ich heiße Patrais Tashrany und ich bin die Mutter des Königs, dessen Vater euer Sohn war. Und doch ahnt Hermil Tashrany nicht, daß er in mir seine leibliche Mutter kennengelernt hat." Patrais löste ihren Schleier und legte ihn sich um die Schultern, so daß ihr schmales Gesicht mit den leuchtenden Bernsteinaugen darin sichtbar wurde und ihr feines Haar, das schimmerte wie flüssiges Mondlicht.
Unbewegt starrte Hemafas ihr ins Gesicht und flüsterte dann: "Wer könnte bei eurem Anblick glauben, daß ihr eine sterbliche Frau wärt? Ihr könnt sicher unter dem Angesicht des Ungenannten wandeln und seine Vollkommenheit bewundern. Euch stehen die Gärten der Freude jederzeit offen." Und er verstummte.
Patrais Tashrany jedoch legte ihre schmale Hand leicht auf die Hand ihres Gastgebers, die auf dem Schallkörper der Laute ruhte. "Nein, ich bin keine Unirdische. Wäre ich es, so wäre mein Zorn ebenso vollkommen, wie meine Erscheinung. Es fließt sterbliches Blut in meinen Adern, das Blut der Tashrany, und dieser Erbteil verwehrt mir den Weg in die Gärten der Freude. Ich bin sterblich wie ihr..." Patrais verstummte und betrachtete den Vater und Lehrmeister ihres Geliebten.
"Ich fordere das Leben", sagte sie dann entschlossen und Hemafas schrak auf aus seinen Gedanken. "Ich fordere Euer Leben in seiner ganzen Länge, um mir vom Lehrmeister zu holen, was mir der unzuverlässige Schüler nicht mehr geben konnte!"
* * *
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zuletzt geändert am 29.12.2011.