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Leuvenhook war sich nicht ganz sicher, ob er auf die Entfernung richtig gelesen hatte, also nahm er den Notizzettel zur Hand, den Mallah über den Lastrefu an die Wand geklebt hatte, um noch einmal die Adresse zu überprüfen. Tatsächlich hatte MSM Mallah in ihrer fast unleserlichen Schrift notiert: "Lieferung für Officer Martens im Laderaum (Papiere Fach 12), The Black Hole, Ring."
Leuvenhook öffnete Fach 12, fand darin ein zerknautschtes Blatt Papier, das in keiner Weise den Ansprüchen, die man an ein Ladepapier stellen konnte, gerecht wurde und entnahm dessen Aufschrift - nichts. "Päckchen für Officer Martens", stand dort nur und eine der Nummern, die neuerdings von der Zentrale des Kurierdienstes der Royal Space Navy für alle Postsendungen vergeben wurden. "A 17-35-11" lautete sie.
Leuvenhook verwünschte Mallahs Mutterschaftsurlaub, strich die 'Ladepapiere' auf der Ablage vor dem Lastrefu glatt, faltete den Zettel zusammen und steckte ihn wieder in Fach 12 - zusammen mit Mallahs Notiz.
Fach 44 enthielt die kleine Nachschlagewerk-Bibliothek, die Leuvenhook sich im Laufe seines bisherigen Dienstes an Bord der Dragon zusammengestellt hatte. Er suchte sich das "Adressenverzeichnis Asteroidenring" heraus und begann wahllos, sich durch das Verzeichnis der Orstas zu blättern. Hin und wieder war neben der offiziellen Bezeichnung noch der unter Raumfahrern gängige Spitzname angegeben, aber The Black Hole fand er nicht. Es gab ein alphabetisches Verzeichnis von Hoships, sowie der Hotels, Rautels und Vergnügungshabitate auf den größeren Asteroiden, ein alphabetisches Verzeichnis der Asteroiden in Privatzbesitz, von denen einige wirklich eigenartige Namen hatten, aber ein The Black Hole war nirgends zu finden. Schließlich kam CPO Leuvenhook auf die Idee, in die Liste der im Ring stationierten und aus dem Ring stammenden Raumfahrzeuge zu sehen, aber auch hier: Fehlanzeige.
Über die Recherche ging die Zeit dahin, und so öffnete sich plötzlich die Tür der Postbox und der Cheffunker trat ein, um seine Schicht am Lastrefu anzutreten. Er besah sich die auf Leuvenhooks Knien und der Ablage vor dem Lastrefu ausgebreiteten Bücher und Listen, grinste und schüttelte den Kopf. "Sych'du The Black Hole?" fragte er dann. Er hatte Mallahs Zettel offenbar schon gesehen.
Leuvenhook nickte und schlug das Heft zu, das er zuletzt erfolglos konsultiert hatte. "Hast Du eine Idee, wo ich es finden könnte?"
Der Cheffunker sah auf Leuvenhook hinunter, grinste womöglich noch breiter. "Du'hst wrklch kein Ahng?" Er erkannte dann jedoch, wie sehr Leuvenhook durch diese Bemerkung auf die Folter gespannt wurde und erklärte: "Übl Kaschemm'f Orsta Hcht. Legendär übel", fügte er noch betont hinzu, grinste weiter. "Käptns'dmal vrsumpft... hb'n husglöst."
Ungläubig-skeptisch zog Leuvenhook die Augenbrauen zusammen. "Das kann ich mir bei unserem Kapitän gar nicht vorstellen", bemerkte er leise.
Aber der Cheffunker nickte bekräftigend, noch immer breit grinsend. "Hs'pssirt! Hs'pssirt!"
Immerhin war nun die Adresse verifiziert und Leuvenhook konnte ruhigen Gewissens seinen Arbeitsplatz übergeben. Der Ring wurde erst in einigen Stunden erreicht und so hatte er auch noch genug Gelegenheit, einiges über die unglaubliche Geschichte zu erfahren, die der Cheffunker angedeutet hatte. Und das Päckchen war - angesichts der offenbar ständigen Postadresse des Empfängers - nun sehr interessant geworden.
*
Leuvenhook schaffte es erst kurz vor Erreichen der Orsta, einen Blick in den Laderaum zu werfen - nämlich um die Sendung für Officer Martens aus dem Laderaum in die Postbox zu bringen. Das Päckchen - adressiert an "Officer Martens, The Black Hole, Ring", abgesendet von einer Londoner Adresse - war sehr leicht, so lang wie Leuvenhooks Unterarm und jeweils eine gute Handbreit breit und hoch. Es fühlte sich fest an und als Leuvenhook es schüttelte, war nichts zu hören.
Und schon dockte die Dragon an der Orsta 8 im Ring an. Da es sich um eine kommerzielle Station handelte, wohnten auf der Orsta nur Arbeiter und niedere Verwaltungsangestellte des Konzerns - der Bergbau- und Verhüttungs-Gesellschaft, deren Zentrale auf Terra lag. Neben den konzerneigenen Einrichtungen gab es natürlich einen Posten der RSPolice und ein Vergnügungsviertel mit Restaurants in allen Preislagen - bis zur Versorgung mit importierter Erdluft für die, die es sich leisten konnten.
Nachdem Leuvenhook mit dem Päckchen unter dem Arm die Orsta betreten hatte, studierte er die Tafel, auf der die nicht von der BVG gestellten Einrichtungen der Orsta aufgelistet waren. The Black Hole - Besitzer T.Black - stand im unteren Drittel, und der Adresse nach befand sich das Etablissement wenige Meter von Leuvenhooks augenblicklichem Standort auf dem Landedeck entfernt.
Der nur schwach belebte Gang, in dem The Black Hole lag - zwischen einer Einheit Schlafzellen und einem billigen Puff - war ziemlich schäbig. Sämtliche Neonreklamen waren beschädigt und die Stahlfront unterhalb "The ..lack Hole" war mit tiefen Kratzern und zahlreichen Flecken versehen. Die doppelwandige Stahltür, die auf Leuvenhooks leichten Druck nachgab, hatte von innen eine erhebliche Delle, die sich noch auf der Außenseite etwas abzeichnete. Hier ging es offenbar regelmäßig hoch her, aber nach den knappen Worten, die Leuvenhook dem Cheffunker noch über den Vorfall, in den der Kapitän der Dragon verwickelt gewesen war, hatte entlocken können, erstaunte Leuvenhook das wenig - ebensowenig wie das narbige Gesicht und die schiefe Nase des Mannes hinter der Bar, den an diesem Tag auch ein frisches Veilchen zierte. Das mußte der cholerische Barkeeper des The Black Hole sein, von dem der Cheffunker beim Mittagessen erzählt hatte. Der breit gebaute Mann tauchte gerade mit grimmigem Gesicht einige Gläser in undurchsichtiges Waschwasser, warf nur einen kurzen Blick auf den Eintretenden, aber hielt mit seiner Arbeit keinen Moment inne.
Leuvenhook war allerdings erstaunt darüber, daß der Laden bis auf den Barkeeper menschenleer war. Die Stühle standen auf den Tischen und mitten im Durchgang zur Bar lag ein Häufchen zusammengefegten Abfalls auf dem Boden. Auf einer Orsta mit drei Schichttagen - folglich also auch drei Schichtfeierabenden - war das sehr ungewöhnlich. Leuvenhook straffte die Schultern - als Verbindungsoffizier eines RSN-Kurierschiffes stellte er schließlich etwas dar -, trat an die Bar heran und fragte: "Wo finde ich Officer Martens?"
Nun hielt der Barkeeper doch inne in seinem Tun und sah das kleine Stückchen hoch zu Leuvenhook. "Das bin ich", sagte er mit kratziger Stimme.
"Ich habe ein Päckchen für Sie, aus London-Terra." Leuvenhook streckte dem Mann das Päckchen entgegen und zog mit der anderen Hand den Quittungsblock aus der Brusttasche seiner Uniformjacke.
Begierig grapschte Martens mit breiter, dickfingriger und noch nasser Hand nach dem länglichen Päckchen, ignorierte Leuvenhooks "Aber die Quittung...", riß das Packpapier auf, enthüllte auf diese Weise eine Stange Zigaretten, befreite eine der Packungen aus der zweiten Umhüllung, hatte in Sekundenschnelle eine der Zigaretten in der Hand und entzündete sie - den "Warning, Actung! Nict Raucen - wenig Luft!"-Schildern zum Trotz - mit einem Feuerzeug, das er aus der Hosentasche gezogen hatte.
Martens nahm genüßlich einige Züge und blies den Rauch den zugeklebten Rauchmeldern unter der Decke über der Bar entgegen. Dann ließ er die Zigarette in einem Mundwinkel hängen, füllte ein Wasserglas gut halb voll mit einem synthetischen Grappa, der zwischen den zahlreichen Flaschen über der Theke hing und reichte es mit einem freundlichen Lächeln an Leuvenhook. "Wo muß ich unterschreiben, guter Mann?"
Leuvenhook wußte nicht so recht, wohin mit dem Glas und insbesondere mit seinem Inhalt, denn schließlich war er im Dienst. Aber eingedenk der Geschichte des Cheffunkers nahm er der Form halber einen kleinen Schluck, um Martens nicht zu verärgern. Erstaunlicherweise schmeckte der Grappa richtig gut. Und während durch die Unterschrift "O.Martens" die ordnungsgemäße Auslieferung des Päckchens Nr. A 17-35-11 quittiert wurde, leerte Leuvenhook sein Glas.
"Noch einen?" fragte der Barkeeper mit einem breiten Grinsen.
*
Noch Wochen später erzählte man sich am Bord der Dragon die Geschichte, wie der Cheffunker den derangierten CPO aus dem The Black Hole ausgelöst hatte.
* * *
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zuletzt geändert am 17.06.2011,
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