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Cover zu Warum gab Linda M. den Rennsport auf? von Bettina Lege

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Warum gab Linda M. den Rennsport auf?

von Bettina Lege

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Sie saß, wie fast alle Zuschauer bei diesem Plazierungsrennen für die Klasse-4-Solarmeisterschaften '39, auf der zweiten Absperrung der Lanchasterbahn, etwas abseits von den anderen, mit freiem Blick auf die Werkstätten, wo eine Wartungsmannschaft gerade einen blaulackierten Boliden mit venusischer Kennzeichnung auf den Bock schob und begann, das Triebwerk abzumontieren.

Das vierte Mal zischten die Jets an ihr vorbei. Die Spitze lag noch dicht beieinander, der Venusier war allerdings etwas zurückgefallen und die beiden Terraner konnten ihre Position mit Sicherheit nicht mehr lange halten. Die weithin sichtbare Anzeige verkündete: 'Noch zwei Runden'. Langsam verschwanden die Rennwagen außer Sichtweite und wie den Phantomschmerz eines verlorenen Gliedes spürte sie das Lenkrad ihres Jets in den Händen.

Ein Blick auf den winzigen Bildschirm, auf den sie die rückwärtige Kamera geschaltet hatte, zeigte ihr, daß das Rennen bereits entschieden war: das Feld lag weit hinter ihr. Sie hatte die Solarmeisterschaften '17 gewonnen, noch vor dem Marsianer Morris, der als Favorit gegolten hatte.

Als sie die Ziellinie überquerte, standen die Zuschauer auf den Bänken, sie tobten und schrieen: 'Lin, Lin, Lin!', so laut, daß sie es sogar im verschlossenen Inneren des angeblich schalldichten Jets hören konnte. Und vom Jubel der Massen getragen nahm sie, gerade neunzehnjährig, ihren ersten Siegerkranz entgegen.

"Hey, Sie sind doch Lin McKenzie! Geben Sie mir ein Autogramm?" fragte eine freundliche Stimme hinter ihr.

Sie drehte sich um. Der junge Mann strich sich gerade mit seiner schlanken Hand die langen orangenen Locken aus dem attraktiven Gesicht und sah sie aus smaragdgrünen Augen fragend an.

"Mein Name ist Fee Farah, Fremder", erwiderte sie lächelnd. "Sammeln Sie Autogramme von Chauffeuren?"

"Jean Cocque", stellte der junge Mann sich förmlich vor. "Wirklich eine verteufelte Ähnlichkeit. Ich hätte schwören können, daß Sie McKenzie sind."

Fee wandte jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit dem elegant gekleideten, offenbar ziemlich wohlhabenden jungen Mann zu. Obwohl einiges an ihm ihr wage bekannt vorkam, konnte sie ihn nicht einordnen. Sie schwang sich von der Absperrung. "Es tut mir leid, Sie getäuscht zu haben." Sie klopfte ihre Hose ab und sah beiläufig auf den Firmenchronometer an ihrem Ärmelaufschlag. "Entschuldigen Sie mich bitte, aber ich habe einen Termin einzuhalten."

Während Fee die makellos weißen Handschuhe, die zur Chauffeursuniform gehörten, über ihre Hände streifte, ging sie mit schnellen Schritten zum Parkplatz. An einem Tag wie diesem standen dort, außer der Jefferson-Davis-Limousine, die Lord Mervin Thomson, der Sohn des 75. Duke of Lanchaster erwartete, nur wenige große Fahrzeuge. Den meisten, die kamen, um sich ein Plazierungsrennen anzusehen, fehlte das nötige Kleingeld, sich überhaupt ein Luxusfahrzeug leisten zu können, und die interessierten Sprößlinge wohlhabender Familien kamen in ihren blitzenden Sportwagen, die im Sonnenlicht wie gleißende Metallpfützen blinkten. Sie entdeckte einen ziemlich verrosteten Hemmon mit verbeulter Stoßstange; er gehörte einem Buchmacher aus Lanchaster, der seit nicht ganz zwanzig Jahren im Geschäft war.

Fee nahm den Platinschlüssel des Jason King '79 aus der Jackentasche ihres schwarzen Dienstanzuges. Mit zusammengekniffenen Augen überprüfte sie im Herumgehen die Unversehrtheit des polierten pinkfarbenen Lackes und nickte zufrieden, dann stieg sie ein. Sie klappte den Rückspiegel um, korrigierte den Sitz der Krawatte in den Firmenfarben (burgunder-marine mit goldenem Querstreifen und der, den Hoflieferanten vorbehaltenen, fünfzackigen Krone) und setzte die Sonnenbrille auf. Mit einer raschen Handbewegung strich sie die kurzen schwarzen Haare zurück, dann richtete sie den Rückspiegel wieder aus und startete den Motor. Ein fast unmerkliches Vibriren und eine blaue Kontrollampe zeigten an, daß der Oldtimer auf Touren kam, sie löste die Bremse und rollte gemächlich auf die Fahrbahn.

*

Nach knapp vier Kilometern bemerkte Fee hinter sich ein goldenes Glitzern. Der Form nach schien es sich um einen Belgum der 60er-Serie zu handeln. Sie erinnerte sich an einen goldfarbenen Roadster auf dem Parkplatz der Rennbahn. Der Belgum blieb in konstantem Abstand von etwa zweihundert Metern hinter ihr, der Fahrer hatte auffällig orangenes Haar.

'Lanchaster Castle' las Fee auf dem Abfahrtsschild vor sich. Seine Lordschaft erwartete den Wagen zwar erst in einer halben Stunde, trotzdem klappte sie den Winker aus und bog ab. Sie folgte den Wegweisern nach Lanchaster Castle und schon nach wenigen Augenblicken tauchte hinter ihr wieder der goldglitzernde Belgum auf.

Was wollte Cocque von Linda McKenzie? Vor zwölf Jahren hatte man ihren Namen aus den Aktivenlisten der Klasse-4-Rennen gestrichen und bekannt gemacht, daß McKenzie sich auf eine Außenposten-Orsta zurückgezogen habe. Woher wollte Cocque überhaupt wissen, wie McKenzie heute aussah?

Ihr Magen verkrampfte sich plötzlich.

Vorsichtig, um den Lack des Jason nicht zu beschädigen, fuhr Fee auf ein abgeerntetes Feld am Straßenrand, öffnete hastig die Wagentür und stieg aus. Außerhalb des schallgedämpften Fahrzeugs hörte sie deutlich das leise Tuckern des Motors. Schockiert über ihre Nachlässigkeit drehte sie den Zündschlüssel: das blaue Kontrolllämpchen erlosch, das Tuckern verstummte. Schwer atmend stützte sie sich mit beiden Händen gegen die leicht vorspringende Dachkante des Wagens.

Der goldene Belgum kam fast lautlos heran. Sie drehte sich um und sah das strahlende Gesicht des jungen Mannes.

Cocque würgte den Motor ab, sprang über die geschlossene Tür und kam mit großen Schritten zu ihr herüber. "Ein toller Wagen!" rief er schon aus einiger Entfernung. Nähergekommen begutachtete er die Beleuchtungsanlage, das gefaltete Solarsegel und die schmetterlingsflügelförmigen Winker. "Wirklich ein toller Wagen. Ich tippe auf 'Jason Royal'." Durch die verspiegelten Scheiben versuchte er, einen Blick in das Innere zu werfen.

"Ein 'King'", verbesserte Fee und trat einige Schritte von der offenen Tür zurück, die Fäuste tief in den Taschen ihrer Hose.

Begeistert betrachtete Cocque die Armaturenleiste des Cockpits. "Sagenhaft!" Bewundernd strich er mit seinen schlanken Fingern über das feine pinkfarbene Leder des Sitzes, fuhr die eingeprägten Arabesken an den Kanten nach.

"Warum sind Sie mir gefolgt?" fragte Fee und bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.

Mit einem Wehen seiner langen orangenen Locken drehte Cocque sich zu Fee um. "Als ich sah, mit welchem Wagen sie wegfuhren, konnte ich der Versuchung einfach nicht widerstehen... oh Mann, einmal ein solches Kunstwerk fahren... ist es schwer, einen Job als Chauffeur zu bekommen?"

Fee versuchte, sich zu entspannen. Warum sollte ein Autofreak nicht nach McKenzie fragen? Sie verfluchte ihr krankhaftes Mißtrauen und zwang sich zu einem Lächeln. "Es ist ganz einfach: weisen Sie zehn Jahre unfallfreie Fahrpraxis und ein erfolgreich abgeschlossenes Sicherheitstraining nach, danach müssen Sie nur noch die drei Prüfungen bestehen." Cocques länger werdendes Gesicht gab Fee einiges ihrer verloren geglaubten Sicherheit zurück. Sie grinste breit. "Das sind ganz gewöhnliche Fahrprüfungen mit verschiedenen Wagentypen. Die Vorbereitungskurse dazu, mit denen manche Firmen sich Platinnasen verdienen, kann man getrost vergessen."

"Arbeiten sie schon lange für JD?" fragte Cocque langsam und sein Kopf nickte wage in Richtung des Firmenemblems, das diskret in der rechten unteren Ecke der Windschutzscheibe befestigt war.

"Seit annähernd zwölf Jahren."

"Und was haben Sie davor gemacht?" fragte Cocque und setzte sich vorsichtig auf das Trittbrett des Jason.

Fee zog erstaunt die Augenbrauen hoch. "Sehe ich denn schon so alt aus?"

Cocque errötete tief. "Äh, ich meine..."

Fee winkte belustigt ab. "Ich habe mein Berufsleben vor fünfundzwanzig Jahren als Mechaniker begonnen und bin seitdem dabei geblieben."

"Haben Sie mal mit Rennwagen gearbeitet... zum Beispiel mit Jets?"

"Oh ja, aber das ist schon lange her", antwortete Fee freimütig, sie war jedoch auf der Hut.

"Auch auf der Lanchaster-Bahn?" wollte Cocque wissen.

"Ein oder zwei Mal", erwiderte Fee unbehaglich. Verärgert bemerkte sie, daß sie sich die Hände rieb und steckte sie entschlossen zurück in die Hosentaschen.

Cocque betrachtete den makellosen Lack des Jason. "Ich habe Sie schon häufiger auf der Bahn gesehen... als Zuschauer", fügte er hastig hinzu und sah sie aus seinen smaragdgrünen Augen durchdringend an. "Gehen Sie nur zu Plazierungsrennen?"

Fee bezwang den Wunsch, auf und ab zu gehen. "Mir ist die Hektik der offiziellen Rennen zuwider." Außerdem gab es dort zu viele Leute, die Lin McKenzie noch aus ihrer aktiven Zeit kannten.

Cocque schlug sich mit der flachen Hand gegen die Brust. "Ich bin von den Rennen ganz fasziniert. Die Geschwindigkeit, die Form der Jets; sie sind wie... wie Raketen!" sagte er begeistert und lachte jungenhaft.

"Es sind Raketen", erklärte Fee mechanisch, "auf Rädern."

"Sind Sie mal in einem Rennen gefahren?" fragte Cocque neugierig.

"Nein", entgegnete Fee knapp.

"Aber Sie haben McKenzie sicher mal kennengelernt", bohrte Cocque weiter.

Entschieden schüttelte Fee den Kopf. "Wir sind einander nie vorgestellt worden."

"Das ist wirklich schade."

"Ich glaube kaum, daß ich etwas verpaßt habe", sagte Fee gereizt.

Cocque sah sie groß an."Sagen Sie das nicht. Sie war großartig! Fast zehn Jahre hat sie zur absoluten Spitzenklasse gehört. Sie war das Idol ihrer Zeit, bis sie sich '27 aus dem Rennsport zurückzog... und sie war ein Held", schloß Cocque pathetisch.

"So?"

"Sie hatte sich während des Marskrieges zur Aufklärung des Feindgebietes als Gleiterpilot verpflichtet."

"Was Sie nicht sagen", bemerkte Fee höflich. Sie fröstelte.

"Ihr wurde für ihren heldenhaften Einsatz in der Offensive von New-London der terranische Verdienstorden 1. Klasse mit Band verliehen", berichtete der junge Mann enthusiastisch.

Fee presste die Kiefer hart aufeinander. "Verschwinden Sie", zischte sie zwischen den Zähnen hindurch.

Cocque starrte sie fassungslos an.

"Verschwinden Sie!" wiederholte Fee fast schreiend und haßte sich für ihre Unbeherrschtheit. Sie ging auf Cocque zu, der aufsprang und in weitem Bogen um sie herum zu seinem Wagen lief.

Schwer atmend ließ Fee sich auf den Fahrersitz des Jason fallen. Sie hörte den Belgum hustend starten und hastig davonfahren. Sie zitterte heftig, und ohne daß sie es verhindern konnte, eilten ihre Gedanken zu jenem Gleiter zurück, in dem sie '26 durch die dünne, zu gut 97% künstlich erzeugte Marsathmosphäre geschwebt war.

Die großen, photosensitiven Membranen, die die winzige, annähernd unortbare Kapsel in der Luft hielten, vermittelten ein euphorisches Gefühl der Schwerelosigkeit. Die einzige Verbindung zur Außenwelt waren sechs Infrarot-Kameras, die an einen kleinen Bildschirm von zehn Zentimetern Durchmesser und außerdem direkt an den Sender der Kapsel angeschlossen waren, der jedes aufgenommene Bild an den Empfänger im Mutterschiff, irgendwo im Orbit um den Mars, weitergab.

Auf dem Bildschirm tauchte plötzlich ein feindlicher Jäger auf und per Knopfdruck setzte sie den automatischen Notruf ab. Ihr konnte zwar niemand mehr rechtzeitig zur Hilfe kommen, aber die Chancen des Gegners, eines der lebenswichtigen Systeme der Kapsel zu treffen, standen schlechter als 1:30.000. Der Rettungsschirm würde sie nach Verlust der Flügel sicher auf die Planetenoberfläche tragen, wo ein Shuttle des Mutterschiffs sie abholen würde.

Sie sah die Raketengeschosse auf den Gleiter zukommen, spürte, wie einer der Membranflügel zerriß; andere Treffer folgten und plötzlich fiel die Steuerbordkamera aus. Die aufkommende Panik unterdrückte sie mühelos: ihre Erfahrungen mit den ähnlich konzipierten Jets hatten sie als Gleiterpilotin besonders qualifiziert. Sie schaltete nacheinander die anderen Kameras und schließlich auch den Radar auf den Bildschirm, aber er blieb dunkel. Als sie das Checkprogramm abrief, regte sich nichts. Das Heck des Gleiters, in dem die gesamte Elektronik einschließlich Sender untergebracht war, mußte getroffen worden sein.

Da der einflüglige Gleiter langsam ins Trudeln kam, klinkte sie die Halterung des verbliebenen Flügels aus und ließ die Kapsel wie einen Stein der Planetenoberfläche entgegenfallen. Der Notruf hatte mit Sicherheit das Mutterschiff erreicht, ihre letzte Position war im Schiffscomputer gespeichert; es dauerte im Höchstfall zwei Stunden, bis ein terranisches Shuttle sie aufnahm.

Ein plötzlicher Ruck zog die Kapsel nach oben, als der Rettungsschirm sich öffnete. Sie zählte die Sekunden bis zum Aufprall, ein harter Schlag erschütterte die Kapsel bis in die innerste Schweißnaht. Sie betätigte den Öffnungsmechanismus, aber auch das elektro-mechanische System war bei dem Beschuß in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie drehte sich auf den Rücken und versuchte, die Luke manuell zu öffnen, doch nichts bewegte sich. Die Kapsel hatte sich beim Aufprall anscheinend verzogen.

Wütend hieb sie noch einmal auf den Notrufknopf, die Kontrollampe blieb dunkel.

Der Chronometer an ihrem Ärmelaufschlag pulsierte. Wie aus einem Alptraum erwachte Fee, verbannte jeden Gedanken an enge Blechkapseln aus ihrem Bewußtsein und startete. Auf Lanchaster Castle erwartete man den Jason King einschließlich Chauffeur.

*

Während das schmiedeeiserne Tor in der Mauer, die das Anwesen des Herzogs von Lanchaster umgab, langsam beiseite glitt, richtete Fee peinlich genau ihre Krawatte, ließ die Sonnenbrille in einer Jackettinnentasche verschwinden und setzte die firmenemblemgeschmückte Schirmmütze auf, die zur Chauffeursuniform gehörte.

Im Schrittempo arbeitete sich der Jason die bewaldete Anhöhe hinauf, auf der Lanchaster Castle stand. Die Zufahrt spaltete sich in Sichtweite der normannischen Burg, die seit einigen Jahrhunderten ausschließlich als Touristenattraktion diente; Fee fuhr nach links, zum Herrenhaus derer zu Lanchaster, das Mitte des 18. Jahrhunderts erbaut worden war.

In der weiträumigen, mit weißem Kies bestreuten Auffahrt, fast direkt vor der Freitreppe des Herrenhauses, stand ein gold blitzender Belgum Roadster der 60er Serie, Fee ignorierte ihn. Sie fuhr den Jason King vor und stieg aus.

Sofort eilte ein älterer Mann in Butler-Livree die Freitreppe herunter und auf Fee zu. "Sie sind sicher der Chauffeur, den Jefferson-Davis schickt", begrüßte er Fee.

Fee nickte knapp. "In der Tat."

Der Butler musterte den Jason bewundernd, dann sagte er: "Seine Imposanz, der Herzog von Lanchaster, läßt Sie fragen, ob Sie sich, als Fachkraft für Oldtimer, des technischen Innenlebens seiner Limousine annehmen könnten, bis seine Lordschaft Sie benötigt."

"Nun...", begann Fee nachdenklich.

"Diese Leistung würde selbstverständlich extra honoriert werden", beeilte sich der Butler hinzuzufügen.

"Um was für ein Modell handelt es sich?"

"Ein Imperial Weston '98. Eigentlich hatte sich der Chauffeur seiner Imposanz darum kümmern wollen, aber wegen des Fährenstreiks sitzt er seit dem Wochenende auf Luna fest... er sagte, es beträfe den Cottonman-Vert... "

"Silkman-Verteiler", verbesserte Fee mit freundlichem Lächeln.

"Ganz recht... die benötigten Ersatzteile hatte der Chauffeur seiner Imposanz bereits angefordert, sie liegen in der Garage bereit. Wenn Sie mir bitte folgen wollen..." Der Butler wies Fee den Weg um das Herrenhaus herum zu den Ställen.

Einer von den drei Ställen war zu einer geräumigen Garage ausgebaut worden, und nach kurzem Umsehen entdeckte Fee alles, was in eine gutsortierte Werkstatt gehört, einschließlich Hebebühne. Außer dem dunkelblauen Weston standen in der Garage zwei bis auf die Kennzeichen identische schwarze Lynetts, die so neu waren, daß die Sitze noch in ihren Schutzumhüllungen staken.

Mit leisem Zischen der Pneumatik öffnete sich die Motorhaube des Weston. Sein Inneres unterschied sich ganz entschieden von dem, was Kevin Weston in den 90er Jahren konstruiert hatte; der Chauffeur seiner Imposanz mußte ein begeisterter Bastler sein. Der Silkman-Verteiler lag, durch die zahlreichen Umbauten am Motor bedingt, zum größten Teil unter dem Sicherungskasten, was möglicherweise zu seinem Versagen geführt hatte. An den strategisch wichtigen Stellen war der Verteiler bereits abgeklemmt worden, die Abdeckplatte lag nur lose auf.

Fee entdeckte einige Kleiderhaken in der Nähe des in eine Ecke gesetzten Waschbeckens. Sie entledigte sich der Handschuhe, der Schirmmütze und des Firmenjacketts, den unteren Teil der Krawatte steckte sie in ihr Hemd, die Ärmel desselben krempelte sie hoch, dann machte sie sich an die Arbeit.

"Sie kommen zurecht?" fragte der Butler.

"Aber sicher. In einer halben Stunde bin ich fertig", erwiderte Fee entschieden, ohne aufzublicken.

"Darf ich Ihnen eine Tasse Tee bringen?" fragte der Butler wieder.

"Sehr freundlich von Ihnen, aber das ist nicht nötig", antwortete Fee abwesend. Wie sie vermutet hatte, lag es am Sicherungskasten, daß der Verteiler den Dienst aufgekündigt hatte. Der direkte Kontakt des blauen Plastikgehäuses mit dem Verteiler hatte an der Auflagefläche die Luftzirkulation verhindert, der Verteiler hatte sich dort überhitzt und die Schaltungen waren verschmort. Vorsichtig zog Fee die oberste Platine heraus: die aufgedruckten Schaltungen waren zu einer dünnen, durchgehenden Metallschicht zusammengeschmolzen. Die zweite und die dritte Platine waren ebenfalls zerstört, die vierte schien noch in Ordnung zu sein, aber vorsichtshalber tauschte Fee sie ebenfalls aus.

"Woher haben Sie denn diese gräßlichen Narben?" fragte plötzlich eine halbwegs bekannte Stimme hinter Fee, von einem Schwall Alkoholdunst begleitet.

Fee betrachtete desinteressiert das grobmaschine Narbennetz, das sich über ihre bloßen Unterarme, von den Handgelenken bis unter die hochgekrempelten Hemdärmel, zog. "Wollen Sie das wirklich wissen?" fragte sie und befestigte die neuen Platinen im Verteiler.

"Natürlich", antwortete Jean Cocque herausfordernd.

Während Fee die Halterung des Sicherungskastens an ihrem neuen Platz festschraubte, erinnerte sie sich für einen kurzen Moment an die Hoffnung, die sie empfunden hatte, als sie merkte, daß jemand die Gleiterkapsel aufschweißte. Die siebzehn Stunden, die sie in dem winzigen Blechsarg zugebracht hatte, hatten sie, trotz ihrer jahrelangen Gewöhnung an die Jets, fast um den Verstand gebracht und sie ernsthaft am Sinn dieses Krieges und ihrer freiwilligen Meldung als Gleiterpilot zweifeln lassen. Sie hatte sogar den Sinn und Zweck der Gleiter selbst in Frage gestellt; doch wie hilflos sie in ihrem stählernen Gefängnis wirklich war, erkannte sie erst, als sie die braunroten marsianischen Felduniformen ihrer 'Befreier' erblickte.

Man zerrte sie aus der Kapsel und schälte sie aus dem Raumanzug. Irgend jemand betäubte sie mit einer Spritze, und als sie wieder zu sich kam, saß sie einem Mann gegenüber, der unverständliche Fragen nach Position und Stärke der terranischen Flotte stellte. Aus ihrem Gedächtnis war jedoch alles gelöscht; sie erinnerte sich nicht einmal mehr an ihren Namen.

Immer wieder verhörte man sie und schließlich begann man, sie zu foltern.

Fee drehte sich zu Cocque um. "Da Sie sich für das Kriegsgeschehen von '26/27 wohl besonders interessieren, wird es Sie freuen, neben den terranischen Gepflogenheiten der Ordensverleihung, auch etwas über das Schicksal terranischer Kriegsgefangener auf dem Mars zu erfahren. Wenn die Gefangenen bei den ausgedehnten Befragungen die gewünschten Antworten schuldig blieben, machte man sie zum Beispiel mit dem 'Briggton-Verfahren' näher bekannt, benannt nach seinem Erfinder, einem Chirurgen." Abrupt wandte Fee sich wieder ihrer Arbeit zu und schloß die letzten Leitungen an.

Mühsam verdrängte sie die Erinnerungen an den junge Marsianer, der ihr ausführlich die Foltermethoden beschrieb, um sie anschließend mit äußerster Kunstfertigkeit in die Tat umzusetzen. Er berechnete den Schmerz, den er ihr zufügte, genau: es war nie soviel daß sie das Bewußtsein verlor, doch genug, daß sie um Gnade flehte. Sie wollte seine Fragen beantworten, doch in ihrem Schädel schien nichts als Leere zu sein. Und die Qual, nichts zu wissen von dem, was sie doch wissen mußte, wenn man sie so drängend danach fragte, war schlimmer für sie, als die körperliche Qual der Folter.

"Es sieht aus, als hätte man Ihnen schmale Streifen der Haut abgezogen...", Cocque verstummte.

Die Pneumatik protestierte mit einem asthmatischen Zischen, als Fee die Motorhaube nach kurzer Überprüfung des Verteilers zudrückte. Sie verzog den Mund zu einem unfreundlichen Lächeln. "Ganz recht", antwortete sie Cocque auf seine halbausgesprochene Frage und ging zum Waschbecken. Sie schrubbte sich die Hände sauber, zog sich wieder an, strich die Haare zurück und richtete mit einem prüfenden Blick in den Spiegel über dem Waschbecken die Krawatte, dann ging sie hinaus, um sich ihrem Auftraggeber zur Verfügung zu stellen.

Am Tor der Garage erwartete Fee ein junger, hochgewachsener Mann mit ausgeprägter Nase. "Ich bin Lord Mervin Thomson", stellte er sich mit einer knapp angedeuteten Verbeugung vor.

Fee bot ihm ihre wieder behandschuhte Rechte. "Fee Farah, von Jefferson-Davis, Euer Lordschaft. Der Jason King, den Sie bestellt haben, steht in der Auffahrt."

Seine Lordschaft verzog sein langes Gesicht zu einem breiten Grinsen. "Oh, ich habe den Jason schon bewundert. Ein prachtvoller Wagen. Alles noch Originalausstattung, was?" begeistert schüttelte er Fees Hand.

"Was man von dem Imperial Weston Ihres Vaters nicht gerade behaupten kann, Euer Lordschaft." Fee erwiderte das Grinsen.

Sie machten sich auf den Weg zur Vorderfront des Herrenhauses. "Als mein Vater den Weston vor ein paar Wochen kaufte, hatte er nur noch Schrottwert und war praktisch völlig ausgeschlachtet. Er kann froh sein, daß sein Chauffeur ihn wieder hinbekommen hat", erzählte Lord Mervin. Am Fuße der Freitreppe blieb er stehen. "Da ich Sie erst gegen Abend benötige, möchte ich Sie bitten, einen Freund von mir nach Lanchaster zu fahren, der sich schon einige Whisky jenseits der Fahrtüchtigkeit befindet... ah, da bist Du ja! Es ist alles geregelt!" rief Seine Lordschaft plötzlich, als Cocque aus Richtung Garage zu ihnen stieß, vom Whisky-Dunst eingehüllt, wie von einem reichlich aufgetragenen Parfum. "Ich darf sie miteinander bekannt machen: Fee Farah, von Jefferson Davis; Jean Cocque, ein Sohn des kürzlich verstorbenen Marquis de Saint Julie..."

"Wir haben uns schon bekannt gemacht", unterbrach Cocque Seine Lordschaft.

Fee musterte Cocque intensiv. Erst bei der Nennung des Namens erkannte sie seine große Ähnlichkeit mit dem Marquis de Saint Julie, dem obersten Militärberater und Strategen Seiner Majestät, dabei hatte sie sich geschworen, dessen Gesicht niemals zu vergessen.

Nach Beilegung des '26er-27er-Konfliktes', dem Abzug der terranischen Truppen und des Vizekönigs, sowie der Anerkennung der marsianischen Souveränität hatte Saint Julie die terranischen Soldaten aus marsianischer Kriegsgefangenschaft im Namen Seiner Majestät zurück in der Freiheit begrüßt und, mit stolz geschwellter Brust, von der genialen Erfindung der terranischen Neurologen zum Schutze der terranischen Militärgeheimnisse berichtet.

"Auf meine persönliche Anregung hin wurde eine unmittelbar auf das Gedächtnis wirkende Droge entwickelt, mit der die Raumanzüge der Frontsoldaten präpariert wurden, damit sie bei unsachgemäßer Entfernung des Anzuges sofort in die Blutbahn gelangte. Diese Droge blockierte Ihr Erinnerungsvermögen bis zu dem Augenblick, an dem wir Ihnen das Gegenmittel injizierten. So halfen Sie durch Ihr unbrechbares Schweigen mit, die Offensive von New-London '26 gelingen zu lassen." Mit einer knappen Kopfbewegung warf Saint Julie seine rotblonden Haare aus dem Gesicht und seine smaragdgrünen Augen musterten zufrieden die sechs, in dicke Verbände gepackten Überlebenden.

Seine Lordschaft drängte Cocque energisch zum Jason. "Du wirst Dich jetzt nach Hause fahren lassen. Deinen Wagen schicke ich Dir morgen."

Nach einem prüfenden Blick auf Fee entgegnete Cocque: "Ich kann doch auch hier übernachten."

"Aber nicht doch, mein Lieber", widersprach seine Lordschaft entschieden. "Du sagtest, Du hättest morgen früh einen wichtigen Termin in Lanchaster. Das kannst Du unmöglich schaffen, wenn Du hier Deinen Rausch ausschläfst."

"Aber...", begann Cocque noch einmal ohne großen Nachdruck, seine Lordschaft schob ihn jedoch bereits in den Fond des Jason.

"Er wohnt in seinem Club, dem 'Europeans'", informierte Lord Mervin Fee, nachdem er die Tür geschlossen hatte. "Wissen Sie, wo das ist?"

Fee nickte. "Gordons Lane. Viele unserer Kunden verkehren im 'Europeans', Euer Lordschaft."

"Um so besser... es reicht, wenn Sie gegen sechs Uhr wieder hier sind."

"Wie Euer Lordschaft wünschen", erwiderte Fee und verneigte sich leicht, dann setzte sie sich hinter das Steuer und startete.

*

"Lassen Sie offen", bat Cocque, als Fee nach dem Knopf langte, mit dem die getönte Trennscheibe zum Fond geschlossen wurde.

"Wie war das, die Folter der Marsianer?" fragte er dann zögernd.

Sie passierten die Grundstücksumfriedung. "Ich denke, in dieser Hinsicht gibt es kaum lokale Unterschiede", entgegnete Fee trocken.

Cocque versank in brütendes Schweigen.

"Soll ich die Schnellstraße nehmen?" fragte Fee nach einer Weile und schaute in den kleinen, versteckt angebrachten Spiegel, mit dem sie die Rückbank im Auge hatte. Cocque schrak aus seinen Gedanken auf. "Was sagten Sie?"

"Soll ich über die Schnellstraße nach Lanchaster fahren, oder ziehen sie die Landstraße vor?" fragte Fee erneut.

"Über Land, bitte."

Der Verkehr auf der Landstraße beschränkte sich auf vereinzelte Viehtransporter und einen entgegenkommenden Radfahrer, der sich mühsam die Meter erkämpfte.

"Halten Sie bitte an", sagte Cocque plötzlich.

Fee sah im Spiegel sein verzerrtes Gesicht und vermutete, daß nun die entwässernde Wirkung des Alkohols einsetzte. Sie fuhr an den Straßenrand und hielt.

Cocque stieg aus, blieb aber neben der Fahrertür stehen.

Fee stellte den Motor ab und öffnete das Fenster. "Was ist?" fragte sie.

"Hören Sie", Cocque stützte sich mit beiden Händen auf das zu 3/4 heruntergelassene Fenster, "ich habe nicht einen Tropfen getrunken und Sie brauchen nicht mehr zu leugnen, daß Sie Lin McKenzie sind. Spätestens mit der Erwähnung Ihrer Gefangenschaft auf dem Mars haben Sie sich verraten, denn Sie wissen wohl selbst, daß Sie der einzige weibliche Soldat gewesen sind, der lebend von der Marsoberfläche zurückkehrte. Ich weiß jedoch seit Monaten, daß Sie McKenzie sind... ich bin Journalist und außerdem ein Freund der Klasse-4-Rennen. Als ich in den Papieren aus dem Nachlaß meines Vaters zufällig auf Ihren Namen stieß, konnte ich kaum an mich halten. Ich nahm mir fest vor, ein Interview mit diesem ehemaligen Star des Rennsports zu führen und Antworten auf die Fragen zu erhalten, die Ihr Rückzug in das Privatleben aufgeworfen hatte.

Ich mußte lange suchen, ehe ich Sie fand und noch länger überlegen, bis mir eine gute Idee kam, auf welche Weise ich Sie kennenlernen und sprechen konnte, ohne sofort Verdacht zu erregen, denn nach den Abfuhren, die Sie meinen Kollegen noch in den 20er Jahren erteilten, rechnete ich mit allem. Ich griff auf Kontakte aus meiner Studienzeit in Lanchaster zurück und als Sie sich auf der Bahn verleugneten, war ich bestens vorbereitet."

Fee starrte auf das Lenkrad, das ihre Finger umklammert hielten. Ihre Knöchel traten deutlich hervor und ihre Arme zitterten vor Anspannung.

Überraschend riß Cocque die Wagentür auf und rüttelte an Fees Schulter. "Hören Sie überhaupt zu? Was Sie mir von der Folter erzählten, hatte mich zuerst völlig aus dem Konzept gebracht, das gebe ich zu, aber jetzt habe ich eine großartige Idee: wenn ich mit Ihrer Hilfe eine Artikelserie über die Mißhandlungen terranischer Soldaten in marsianischer Gefangenschaft schreibe, könnte das den Empireisten ziemlichen Aufschwung geben und uns den einen oder anderen Tausender einbringen..." Cocque beugte sich weiter in den Wagen. "Was halten Sie davon?"

Fee drehte sich zu ihm um. Seine orangenen Locken schienen im Licht der Sonne zu brennen. Wie von selbst fuhren ihre Hände an seinen Hals und drückten zu. Ihre behandschuhten Finger krampften sich um seinen erstaunlich schmalen Hals, wie zuvor um das Lenkrad, die Daumen von unten gegen den Kehlkopf gepresst. Verwundert registrierte Fee, daß Cocque kaum Gegenwehr leistete und schließlich leblos neben der offenstehenden Tür des Jason zusammensank.

Nach einer Weile löste Fee die Hände widerstrebend von Cocques Hals und erwiderte kurz den Blick seiner toten, smaragdgrünen Augen, dann schloß sie die Tür, startete den Motor und fuhr davon.

* * *

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